Raum für Kreativität und Eleganz: Für die Zeitschrift «Vogue» fotografierte Mario Testino die Schauspielerin Keira Knightley 2008 im Hotel Bogota. Der ehemalige Hotelier Joachim Rissmann hält die Erinnerung an das glamouröse Shooting auch auf seiner Website Little Bogota Berlin wach. (c) Mario Testino
Claudia Kursawe — 23.02.2024
Fotos — Mario Testino, Yva, Aino Kannisto, Helmut Newton, Joachim Rissmann, Roland Wirtz und Karen Stuke
«Hasta la victoria siempre – Immer bis zum Sieg!», schrieb der schweizerische Magnum-Fotograf René Burri gern in das Gästebuch des Hotel Bogota. Damit zitierte er den kubanischen Freiheitskämpfer Che Guevara, den er 1963 porträtierte. Immer, wenn René Burri in Berlin war, übernachtete er in jener Hotel-Legende, einem Gründerzeithaus mit 120 Zimmern in der Schlüterstraße 45, Ecke Ku‘damm in Berlin-Charlottenburg. Dass Burri und der Hoteldirektor über die Jahre zudem Freunde wurden, ist etwas Besonderes. Denn beiden gemeinsam war damals, so Joachim Rissmann, dass sie auf Zurückhaltung setzten.
Doch der Hotelier widmete Burri schließlich ein eigenes Zimmer, in dem natürlich auch dessen Bilder hingen. Damit befanden sich seine Werke an einem Ort mit Fotografie-Geschichte: Schließlich hatte die gefragte Avantgarde- und Mode-Fotografin Else Ernestine Neulaender-Simon, Yva genannt, in dem Gebäude von 1934 bis 1938 ihr Atelier.
Die Künstlerin Yva im Selbstporträt aus dem Jahr 1926. Helmut Newton hatte eine Vergrößerung davon auf seinem Schreibtisch stehen. (c) Yva
Ein Ort für die Kunst und für Experimente
Zugleich wurde dieser Ort inzwischen von einem Menschen geführt und gestaltet, der die Fotografie liebt – und sie für andere möglich und zugänglich machen wollte. So gründete Joachim Rissmann in seinem Hotel Bogota 2006 die Galerie «Photoplatz», in der zahlreiche Fotografinnen und Fotografen ihre Werke hauptsächlich im Empfang und im Salon zeigen konnten. Außerdem gingen in dem Hotel berühmte Schauspielerinnen und Schauspieler, Künstlerinnen und Künstler, Schriftstellerinnen und Schriftsteller für Fotoshootings ein und aus. Das Bogota bot den Fotografinnen und Fotografen dafür ein attraktives Setting und Experimentierfeld.
Das alles ist inzwischen Vergangenheit. Im Dezember 2013 musste das Hotel für immer schließen. Die Mietkosten an den Hauseigentümer waren nicht mehr bezahlbar. Joachim Rissmann blieb vom Hotel Bogota nur das Archiv. Es umfasst vor allem Originalabzüge von Bildern und Polaroids, die im Hotel entstanden und die Rissmann von den Fotografinnen und Fotografen geschenkt bekam. So wurde er zum Sammler.
Rissmann ist davon überzeugt, dass Yva die Seele des Hauses prägte. Bereits als Junge und später mit seiner eigenen Familie lebte er im Obergeschoss des Gebäudes, wo einst die zahlreichen Atelierräume der Fotokünstlerin lagen. Dort war sie mit einem ganzen Stab an Mitarbeitern Mitte der 1930er-Jahre tätig. Joachim Rissmann konnte später einige von Yvas Bildern privat ersteigern und in das Haus zurückbringen. In seinem privaten Esszimmer im Hotel Bogota fanden sie einen neuen Platz.
Doch das Leben von Yva, die Jüdin war, erfuhr an diesem Ort auch eine tragische Wendung: 1938 erteilten die Nationalsozialisten ihr ein Arbeitsverbot. Sie musste ihr Atelier schließen, blieb zunächst in Berlin und arbeitete als Röntgenassistentin im Jüdischen Krankenhaus. 1942 jedoch wurde sie gemeinsam mit ihrem Mann verhaftet, in ein Vernichtungslager gebracht und dort ermordet. Zu dem Zeitpunkt standen im Hamburger Hafen bereits ihre 34 Ausreisekisten bereit. Ein Bombenangriff zerstörte den Großteil davon.
Bilder der Anmut – aufgenommen von der Künstlerin Yva um das Jahr 1935: Ob die Modefotografie einer Dame mit Hut aus schwarzem Samt mit weißem Vogel (links) oder die Werbung für Nylonstrümpfe (rechts), bei der auch die Treppe des Gebäudes zu sehen ist, das später einmal das Hotel Bogota werden sollte. Der Abzug trägt auf der Rückseite den Vermerk «Copyright by Yva, Schlüterstr. 45».
«Und dann stand im Mai 2002 plötzlich Helmut Newton in der Hotelrezeption.» – Joachim Rissmann
Der Tag, an dem Helmut Newton kam
«Und dann stand im Mai 2002 plötzlich Helmut Newton in der Hotelrezeption», erinnert sich der Hotelbesitzer. Newton wollte sich das frühere Atelier, seinen einstigen Ausbildungsplatz anschauen. Er ging nämlich 1936 als 16-Jähriger bei Yva in die Lehre. «Da habe ich schnell meine Kamera geholt und ihn fotografiert», so Rissmann, für den dies ein besonderer Moment war. Für Newton offenbar auch: Denn der machte anschließend mit derselben Kamera auch ein Bild von Rissmann.
Wie die Bilder und Künstler zu ihm fanden
Überhaupt musste Rissmann für seine Sammlung nicht auf die Pirsch gehen, denn die unterschiedlichsten Fotografen und Fotografinnen fanden ihren Weg zu ihm ins Hotel. «In der Nacht kamen sie immer mal wieder vorbei und zeigten mir ihre Bilder», erzählt er. «Wenn jemand reden wollte, hörte ich natürlich zu, fragte ihn aber nicht aus.» So verhielt er sich gegenüber all seinen Gästen. Schließlich sollte sich das Hotel in der Zeit, in der sie dort waren, wie ihr Zuhause anfühlen.
Joachim Rissmann ermöglichte darüber hinaus viel Freiraum – vor allem den Künstlerinnen und Künstlern. Als Roland Wirtz beispielsweise beschloss, im Hotel Bogota eine übergroße Camera obscura zu bauen, ließ er den Fotokünstler gewähren. Mit Hilfe von dunklem Stoff und Holz verwandelte Wirtz einen der Hotelgänge in eine Art Dunkelkammer. Anschließend spannte er ein 140 mal 200 Zentimeter großes Fotopapier auf, sägte in die Zimmertür davor ein kreisrundes Loch und setzte darin die Linse ein. Rissmann stand dahinter im erleuchteten Zimmer und wurde mit aufgenommen.
Joachim Rissmann weiß, dass sein Hotel unterschiedlich gesehen werden konnte. «Was für die einen schäbig aussah, war für die anderen eben gerade die besondere Patina, die sie suchten», sagt er.
Für Mario Testino war das Hotel 2008 die perfekte Umgebung für ein Vogue-Fotoshooting mit Keira Knightley. Dort, auf der Treppe zum Obergeschoss, wo sich Jahre zuvor Yvas Modelle für Seidenstrumpf-Werbung elegant in Pose brachten, inszenierte der Star-Fotograf nun die Schauspielerin in raffinierten Haute Couture-Kleidern mit Leopardenprint.
Eigentlich ließ er die Fotografen in Ruhe arbeiten, so Rissmann. Aber damals, als Testino da war, kam er gerade in dem Moment zufällig mit seiner Kamera in der Hand um die Ecke gebogen, als Keira Knightley an einen Türrahmen gelehnt in Richtung des Fotografen blickte. So habe er aus dem Verborgenen heraus auch ein Schwarz-Weiß-Bild gemacht.
Betrachtet man die Bilder aus dem Archiv, war das Hotel reich an filmreifen Plätzen: Da gab es etwa eine holzgetäfelte Telefonzelle im Stil des Film Noir, mit Antiquitäten eingerichtete Zimmer, orangefarbene Clubsessel. Und trotzdem, so Rissmann, brachte jeder Fotograf und jede Fotografin die eigene Note und Interpretation in die Aufnahmen.
«Was für die einen schäbig aussah, war für die anderen eben gerade die besondere Patina, die sie suchten.» – Joachim Rissmann
Filmreife Plätze für eine Hollywood-Größe: Das linke Bild stammt aus dem Fotoshooting von Mario Testino 2008 mit Keira Knightley für die Zeitschrift «Vogue», das rechte nahm der Hotelier Joachim Rissmann auf. Weitere Erinnerungen finden sich auf Rissmanns Website Little Bogota Berlin. (c) Mario Testino (li.), Joachim Rissmann (re.)
Geborgenheit für Kreativität
Eine ganz eigene Note brachte auch die aus Helsinki angereiste Aino Kannisto in ihre Bilder des Hotel Bogota ein. Sie blieb zwei Wochen, brachte mehrere Koffer Kleidung mit und durfte sich frei im Hotel bewegen. Dabei entstanden inszenierte Aufnahmen mit ihr als lesendes Zimmermädchen auf der Hintertreppe, als geheimnisvolle Frau im weißen Negligé oder in Denkerpose an einem Schreibtisch sitzend. Es sei eine sehr persönlich geprägte Begegnung zwischen der Künstlerin und der Seele des Hauses gewesen, so Rissmann.
Bemerkenswert ist auch die Arbeit der Fotografin Karen Stuke, die normalerweise mit der Camera obscura ganze Operninszenierungen in einem einzigen Bild ablichtet. Die Belichtungszeit entspricht dabei tatsächlich der gesamten Dauer der Aufführung.
Im Jahr 2012 lud Joachim Rissmann Karen Stuke dazu ein, das Hotel Bogota kennenzulernen. Sie war von dem Ort sofort so begeistert, dass sie am liebsten ganz dort eingezogen wäre. Stattdessen plante sie eine fotografische Serie: Sie quartierte sich in das Zimmer René Burri ein und nahm sich dort während ihrer Schlafenszeit in einem einzigen sphärischen Bild auf. Danach zog sie in weitere Zimmer ein und vollzog dasselbe Ritual.
Karen Stukes Fotografien kann man als Metapher dafür sehen, was das Hotel Bogota ausmachte: Es gab Geborgenheit für Kreativität, egal was da draußen tobte. Oder mit den Worten Joachim Rissmanns: «Wir wollten immer ein offenes Haus für Fotografie-Begeisterte sein.» Die Bilder bleiben. Die Kunst hat gewonnen. «Hasta la victoria siempre!»
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