Ein

Das Bild in seiner Zeit

Politisch
fotografieren?

Jürgen Trittin an einer Ortsvereinssitzung von Bündnis90/Grünen in Göttingen im Juni 2011. Es wurde diskutiert, wie sich die Grünen zu Merkels Vorschlag verhalten sollen, aus der Atomenergie auszusteigen. Das Bild ist im Rahmen eines Dauerauftrags für «Der Spiegel» entstanden. Wenn man das Foto sieht, stellt man sich die Frage, ob die Wahlkampfmanager heute einen Fotografen in so einer Situation noch fotografieren lassen würden. Foto: Maurice Weiss/ Ostkreuz

Text — Miriam Zlobinski – 18.09.21

Fotos — Maurice Weiss

Ein Interview mit dem Fotografen Maurice Weiss

Ein Lachen, ein Naserümpfen im Parlament, ein Blick aus dem Fenster eines Flugzeuges – wussten wir es nicht längst, wie flapsig, sympathisch oder müde «diese» Politiker und Politikerinnen sind? Lange bevor Wahlkampfplakate an Straßen und Kreuzungen omnipräsent werden, formt sich eine Wahrnehmung über Persönlichkeiten und Parteien. Der Fotograf Maurice Weiss, Mitglied der Agentur Ostkreuz, teilt seine Einblicke mit Miriam Zlobinski von Revue.

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Europawahlkampf 2019 in Florenz: Maurice Weiss (Mitte) portraitiert Frans Timmermans (rechts). Das Foto des Zusammenspiels machte die Pressesprecherin Saar von Bueren

Vermittlung von Nähe und Distanz spielen eine besondere Rolle, wenn  der «normale Bürger» keinen Zutritt hat.

Fotografie ist das Medium, welches über Social Media Kanäle geteilt wird, genauso wie es die Druckvorlage für ein Plakat oder eine Zeitschrift ist. Nähe und Distanz spielen in einem Bereich, in den «normale Bürger» keinen Zutritt erhalten, eine besondere Rolle. Im Gegensatz zu den meisten Wählern lernt ein Fotograf Politiker und Politikerinnen persönlich kennen, begleitet unter Umständen sogar ihren Alltag. 

Revue: Maurice, du hast davon gesprochen, dass der Beruf des Fotografen bereits für dich als 14-Jähriger ein Wunsch war. Anlass dazu gaben die Bilder von Will McBride in seinem Buch «Berlin und die Berliner von Amerikanern gesehen». Das Buch hast du damals auf einem Grabbeltisch gefunden und steht bis heute bei dir im Regal. Es ist voll beeindruckender Bilder, die das Leben zwischen urbanen Ruinen, politischen Kundgebungen, Partys und Panzern einfangen. Wie bist du zum Schwerpunkt der politischen Berichterstattung gelangt?

Maurice Weiss: In den 1990er-Jahren war ich im Auftrag von französischen Zeitungen gelegentlich auf Parteikongressen und Wahlkampfveranstaltungen unterwegs. Auf meinem ersten CDU-Parteikongress mit Helmut Kohl als Kanzlerkandidat fühlte ich mich zum ersten Mal als Teil einer Inszenierung mit festen Regeln und Abläufen. Alle Anwesenden, inklusive mir und meiner Kollegin, schienen zu einem Teil eines Theaterstücks zu werden. Sobald Helmut Kohl am Tisch saß und zu essen begann, wurde das erste Verbot zu fotografieren ausgesprochen. Es gab überraschend viele Einschränkungen für die Kamera und mein erster Ausflug als Fotograf in die Politik erschien mir äußerst unergiebig.

Unter diesen Bedingungen wurde die Berichterstattung von den großen Nachrichtenagenturen ohne größere Varianzen abgedeckt. Bilder, wie ich sie noch von der Generation Darchinger, Lebeck und Klemm kannte, waren kaum mehr möglich. Barbara Klemm traf ich dann tatsächlich auf einem SPD-Parteikongress und sie schimpfte, dass sie unter diesen Einschränkungen und Bedingungen zu keinen guten Bildern käme.

Aus diesem Zustand heraus fragte mich 2008 der damalige Bildchef des Spiegels, Michael Rabanus, wie wir zu anderen Bildern aus der Welt der Politik kommen könnten. Auch er war zunehmend genervt von den immer gleichen Bildern. Mit einem mächtigen Medium wie dem Spiegel im Rücken, sah ich die Chance, die Regeln der Inszenierung in der Politik zu durchbrechen.

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Auf die Frage von Maurice Weiss, „wie oft Kofi Annan zu Hause sei”, antwortete der Friedensnobelpreisträger, dass er „die meiste Zeit in Hotelzimmern verbringe“. Resultat des Dialogs war ein Foto, das den einstigen Generalsekretär der Vereinten Nationen neben seinem ungemachten Hotelbett zeigt – eine Situation, die der Fotograf gezielt nutzte, um den Betrachtern einen unmittelbaren Einblick in den Lebensalltag des Porträtierten zu bieten. Im Hotel Adlon, Berlin, Deutschland, September 2010. Foto: Maurice Weiss/ Ostkreuz

«Wie oft sind Sie zu Hause?» Diese Frage stellte Maurice Weiss dem damaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan.

Das Ziel war, die Regeln der Inszenierung in der Politik zu durchbrechen.

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Festakt zur Ehrung Helmut Kohls, der den «Henry Kissinger Preis» verliehen bekommt. Mit Henry Kissinger, Bill Clinton und seiner Ehefrau Maike Richter, American Academy, Berlin, Wannsee, 16. Mai 2011, Foto: Maurice Weiss/ Ostkreuz 
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Peer Steinbrück im Regen. Maurice Weiss mogelte sich gegen den Wunsch der Pressesprecher der SPD in den Elysée Palast. In der Mitte von links nach rechts: SPD-Politiker Sigmar Gabriel, Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und Frank Walter Steinmeier, am 13.6.2013, Paris, Elysée Palast, Frankreich, Foto: Maurice Weiss/ Ostkreuz

Steinbrück war 2013 SPD-Kanzlerkandidat und unterlag bei der Bundestagswahl Amtsinhaberin Merkel.

Zu Beginn deiner Arbeit war die Skepsis gegenüber Fotografinnen und Fotografen und einer eigenen Bildsprache groß. Wieso?

Der Fotograf als aktiver Teil des redaktionellen Teams war den Redakteurinnen und Redakteuren unbekannt und suspekt. Oft genug hatten Journalistinnen und Journalisten die schlechte Erfahrung machen müssen, dass sich Fotografinnen und Fotografen inhaltlich nicht besonders gut vorbereiteten oder in Interviewsituationen nicht immer besonders sensibel waren. Unter diesen Umständen ging der Kampf um Zeit und Raum für das Bild zumeist zum Nachteil des Fotografen aus. Zudem kennen sich Redakteure und Politiker aus vielen Begegnungen. Die Fotografinnen und Fotografen waren in solchen Runden das fünfte Rad am Wagen. Bei der Anfrage vom Spiegel begleiteten mich mehrere Überlegungen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen:

Zuerst musste ein Zugang zu den Redaktionskonferenzen geschaffen werden, damit die Fotografinnen und Fotografen den gleichen Wissensstand hatten wie die Redaktion. Zudem konnten sich Redakteurinnen und Redakteure an unsere Präsenz gewöhnen, wir wurden Teil des Flurfunks, so dass mit der Zeit Vertrauen und Teamgefühl entstehen konnte. Die zweite Überlegung, der Fotograf muss am Monatsende genug Honorar bekommen, dass er nicht gezwungen ist, seine für den Spiegel entstandenen Bilder zweitzuverwerten. Damit bleibt der Kontext, in dem das Bild erscheint, für die Politkerinnen und Politiker berechenbar. Dritte Überlegeung: eine gewisse Unabhängigkeit, Termine und Begegnungen mit den Politikern unabhängig von Redakteuren zu bestimmen. Nicht immer ist der Ort, an dem ein Text entsteht, der richtige für ein Bild. Ziel war es bei diesen drei Gedanken, die Originalität und die Qualität der Texte durch sinnvolle und ungewöhnliche Bilder zu belegen.

Das erste, was die Leserin sieht, wenn sie eine Seite eines Magazins oder einer Webseite aufschlägt, ist das Bild. Wenn sie den Eindruck hat, dass sie das Bild, die Situation schon kennt, zum Bespiel aus der Tagesschau vom Vorabend, ist die Erwartung, Neues im Text zu finden, gering. Ist das Bild anders oder überraschend, ist es wie ein Versprechen, dass es sich lohnen kann, den Text zu lesen. Zumindest war das unsere These.

Wie gestaltet sich die Situation 2021?

Die Verlagshäuser sehen nicht mehr die Notwendigkeit, zu den Texten ihrer Redakteurinnen und Redakteure exklusive Bilder zu beauftragen. Mit dem Argument, «die Bilder, die wir brauchen sind schon da, wir müssen sie nur finden», wird Bildmaterial aus allen verfügbaren Quellen günstig bis kostenlos eingekauft.

Die größte Veränderung aber ist, dass die Parteien zunehmend Werbeagenturen beauftragen, um scheinbar «journalistischen Content» produzieren zu lassen. Die sozialen Medien mit all ihren Verästelungen sind die zentralen Plätze der Kommunikation geworden. Die Notwendigkeit, freien Fotografinnen und Fotografen Zugang zu ermöglich, ist nicht mehr so relevant oder sogar ein Kommunikationsrisiko. Hygienkonzepte, Sicherheitsvorgaben etc. tun ein Übriges.

Während ich noch 2017 den Wahlkampf von SPD-Kandidat Martin Schulz kreuz und quer durch Deutschland für den Stern über viele Wochen bezahlt begleiten konnte, bin ich mir nicht sicher, ob eine Fotografin 2021 die Möglichkeiten bekommen hat.

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Wahlkampf Martin Schulz im Auftrag für «Stern», 2017. Mit dem Fotografen als Teil des Wahlkampfteams entwickelte sich ein begleitender, vermittelnder Blick über den politischen Alltag. Fotos: Maurice Weiss/ Ostkreuz

Politiker und Politkerinnen befürchten oft eine Art von Kontrollverlust bei Bildern. Die Deutungsoffenheit bleibt eine unkalkulierbare Größe, wie viral gegangene Bilder und die Diskussionen darum zeigen. Das dpa-Foto von Annalena Baerbock und Robert Habeck wurde zum Tatort-Ermittlerduo umgedeutet, der unterstützende Arm von Angela Merkel für Manu Dreyer zum Symbol für die Flutkatastrophe. Wie nimmst du die Rolle des Fotografen wahr?

Ein guter redaktioneller Fotograf «spürt» die richtigen Momente, wie sich ein Protagonist einer Situation stellt oder wie sich ein Ereignis abspielt, ob etwas «wahrhaftig» oder geheuchelt ist. Die Fotografinnen und Fotografen sind natürliche Gegner der Wahlkampfstrategen, weil sie Seismographen sind für die Schwächen schlechter Inszenierungen. Vor allem wenn die Wahlkampfmanager durch Beschränkungen bei Veranstaltungen uns bestimmte Bilder regelrecht aufdrängen wollen. Dieses Ringen mit Pressesprechern um relevante Informationen und Zugang zu den Politikerinnen und Politikern, ist im Übrigen für die schreibenden Redaktionsmitglieder ebenfalls eine Herausforderung.

Umso wichtiger finde ich den permanenten Austausch mit den Text-Kolleginnen und -Kollegen, um die entscheidenden Momente schnell und richtig einordnen zu können. Auch bei der Auswahl der Bilder ist das Wissen um die jeweiligen politischen Kontext essentiell. Wer nichts weiß, der kann nichts sehen, sagte mein Professor. Der Satz wird immer gelten.

In der SZ vom 5. August 2021 war von «Fotokatastrophen» die Rede. In Zusammenhang mit den Fotos von Kanzlerkandidaten in der Presse gelte, «niemand, nicht einmal ein Parteifreund, kann einem Politiker je so gefährlich werden wie ein Fotograf». Ist das so?

Der unsichere, vielleicht ungeeignete Politiker entlarvt sich meist selber. Es ist billig und zu einfach, ausgerechnet uns die fotografischen Katastrophen zum Vorwurf zu machen.

Einige Wahlkampfteams scheinen überfordert zu sein mit der Entscheidung, welche Orte und Hintergründe für bestimmte Wahlkampfveranstaltungen sinnvoll und richtig sind. Zum Beispiel Diskussionen über soziale Gerechtigkeit auf einer schicken Terrasse eines Luxushotels, Diskussionen über Bürgernähe in einem anonymen Konfernzentrum etc.

Das ist nicht dem «Bild» anzulasten, wenn unter solchen Umständen die «Message» falsch rüberkommt. Es kommt zwangsläufig zu einer Glaubwürdigkeitslücke im Bild. Bis ein Foto im politischen Umfeld zur Katastrophe wird, sind von vielen schlauen Parteistrategen viele falsche Entscheidungen getroffen worden. Der Fotograf ist nur Botschafter, der die Fehlentscheidungen sieht, spürt und fixiert. Eine missliebige Bildunterschrift, und es geht viral.

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Im Auftrag für «Der Spiegel» fotografiert Weiss im Frühjahr 2019 den SPD-Politiker und Hafenfacharbeiter Uwe Schmidt. Er wurde 2015 zum Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft und 2017 zum Mitglied des Bundestages gewählt. Fotos: Maurice Weiss/ Ostkreuz

«Wer nichts weiss, der kann nichts sehen», sagte mein Professor.

Wie zeigt sich deine Haltung in der Arbeit, wenn du nicht journalistisch, sondern im Auftrag von Parteien arbeitest?

Politik ist keine Ware, es geht um Kandidatinnen und Kandidaten, die sich um ein Amt bewerben. Jeder Mensch hat Stärken und Schwächen. Gerade in Wahlkampfzeiten macht der Kontext das Bild. Die inhaltlichen, persönlichen Stärken und Schwächen von Politikerinnen und Politikern können durch Bilder verstärkt oder erst sichtbar werden. Die muss ich kennen, wenn ich ihnen mit Bildern helfen soll.

Für den Wahlkampf von Frans Timmermans 2019 für die EU Kommission war ich «embedded» und Teil des kleinen Wahlkampfteams. Mein Wahlkampfbilder wurden regelmäßig in Zeitschriften als redaktioneller Inhalt veröffentlicht, wobei das Team die Kontrolle über die Bilder hatte. Diese Veröffentlichungspraxis von «kostenlosen» Bildern kann journalisitisch hinterfragt werden. Als Fotograf hatte ich hier den vollen Zugang und damit optimale Arbeitsbedingungen.

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Im Europawahlkampf 2019 fotografierte Maurice Weiss den sozialdemokratischen Spitzenkandidaten Frans Timmermans, auf dem Bild mit seiner Tochter zu sehen, im Auftrag der PES/SEP. Zusammen mit dem Wahlkampfteam begleitete er als Fotograf den Alltag und lernte den Menschen hinter dem politischen Kandidaten kennen. Foto: Maurice Weiss/ Ostkreuz
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Das Kennenlernen mit Frans Timmermanns führte unter anderem zu einem für die politische Kommunikation ungewöhnlichen Wahlplakat.

Wer an der Herzkammer der Demokratie, der Wahl und dem Wahlkampf arbeitet, muss Verantwortung und Respekt für die Vertreter der demokratischen Parteien haben.

Wie sehen die angesprochenen optimalen Arbeitsbedingungen aus?

Kurz gesagt, wenn ich fehle, ist etwas schief gegangen, wenn ich da bin, bitte ignorieren. Am besten machen alle das, was sie immer machen – ich bin ein Teil der Szene, der keine Aufmerksamkeit will. So entsteht nicht nur eine Nähe, sondern auch die Chance auf den «kultivierten Zufall». Es ist eine Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, eine nicht in Gänze planbare intelligente Schlussfolgerung.

So entstehen die guten Bilder auch bei politischen Veranstaltungen am Anfang oder am Ende, nie während des Höhepunkts des eigentlichen Ereignisses. Wenn du es schaffst, hinter die Bühne zu gelangen und unbemerkt bleibst wie ein Tisch, hast du eine Chance auf ein Bild.

Gleichzeitig gilt: Wer an der Herzkammer der Demokratie, der Wahl und dem Wahlkampf arbeitet, muss Verantwortung und Respekt für die Vertreter der demokratischen Parteien haben. Egal, welche Rolle ich bei diesem Prozess annehme, die des journalistischen Beobachters oder des Wahlkampffotografen, ich bin nie Richter oder Polizist.

Du fotografierst für Parteien und Kandidaten und auf der anderen Seite für Redaktionen. Wo ziehst du Grenzen?

Ich kann die Bilder, die ich im Auftrag eines Politikers mache, nicht an eine Redaktion weiter verkaufen, auch umgekehrt geht dies nicht. Vielleicht ähneln sich die Bilder, sind sogar gleich, aber die ganze Kette der Entscheidungen, die ich getroffen habe, bis es zu dem Bild kam, unterscheidet sich radikal.
Im Auftrag eines Kandidaten ist es ebenfalls meine Aufgabe, Situationen mit der erwähnten Glaubwürdigkeitlücke zu vermeiden. Ich greife aktiv in das Geschehen ein. Als journalisitsch arbeitender Fotograf ist mir das  strikt untersagt, ein solches Verhalten würde die Glaubwürdigkeit unseres Berufes untergraben.

Gerade im Journalismus wurde die Möglichkeit zur visuellen Darstellung in politischen Belangen früh genutzt. Die Karikatur oder auch die Fotografie erzeugten Widerhall in Diskussionen und Skandalen. Fotografen wurden selbst berühmt durch bis dato ungewöhnlichen Fotos von politischen Persönlichkeiten, etwa Erich Salomon, dessen Name fast synonym für den frühen Fotojournalismus steht. Unterscheidet sich ein Portättermin mit einem Politiker von anderen Porträts?

Ein Mensch ist ein Mensch. Ich muss wissen, welchen Charakter ich vor mir habe, warum wünscht die Redaktion jetzt ein Portrait der Person, welche Möglichkeiten bietet mir der Ort,  brauche ich Licht und wenn ja welches, usw. – alles Aspekte, die in der Vorbereitung vor dem eigentlich Termin anfallen.

Die besondere Herausforderung bei Politikerinnen und Politikern sind die zeitlichen und räumlichen Einschränkungen. Der Druck, der auf  vielen von ihnen lastet, ist immens und schränkt die Möglichkeiten, mit der Person «spazieren» zu gehen, massiv ein. Als Wortmenschen ist ihnen das Gespräch vertrauter als das Bild. Wenn dann eine Person souverän und bewusst auftritt, etwa wie Angela Merkel, dann kann ich sie auch so zeigen. Viele Politiker sind gestresst von der Kamera, sie erleben Fotografen oft als «Meute», die sich um ein Bild balgt. Fotografiert zu werden wird als Kontrollverlust erlebt. Die Deutungshoheit ihrer Person wird an eine Gruppe Menschen übergeben, zu der sie keine Beziehung haben.

Da muss ich mir als Fotograf in kurzer Zeit Vertrauen erarbeiten. Im Idealfall kann ich den Protagonisten in ein Gespräch verwickeln, Zeit schinden, um den Moment, wo alle Elemente im Raum für das Bild Sinn ergeben, zu ermöglichen. Dann muss ich in Sekunden entscheiden, wie und wo ich mein Bild finde. Es muss auf Anhieb sitzen, denn selten bekomme ich Zeit für eine zweite Chance.

Maurice Weiss
Maurice Weiss (*1964 in Perpignan, Frankreich) ist zumeist unterwegs, von einem Job zum anderen und findet trotzdem noch Zeit, sich freien Arbeiten zu widmen. Er fotografierte den Mauerfall, die arabische Revolution genauso wie er den Spuren des 2. Weltkrieges nachging.
Immer auf der Suche für den «kultivierten Zufall» ist er als Reportage und Portrait Fotograf vor allem für Der Spiegel, Die Zeit, Libération, Stern und La Croix in der Welt der Politik zu Hause. Weiss lebt und arbeitet in Berlin. 

Zur Homepage von Maurice Weiss bei der Agentur Ostkreuz. 

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