Das Bild in seiner Zeit
Kanzler, Kumpel, Kamerastar — Das «Image» des Politikers Willy Brandt
Text – Miriam Zlobinski
Fotos — Library of Congress und aus der Zeitschrift Stern
Das «Image» des Politikers Brandt wurde ebenso wie dessen politisches Anliegen über die Doppelseiten der Printmedien an die Leser herangetragen. Für die Illustrierten diente Emotionen als vermittelndes Element, um Politik assoziativ zugänglich zu machen. Die Fotografie diente hierfür als ideales Vehikel in einem Zeitschriftengenre, das vorwiegend seine Themen mit mehr Bildern als Text herausbrachte. Der oft betitelte «Medienkanzler» wurde in der auflagenstarken Illustrierten Stern (Druckauflage 1970 1,9 Millionen, ohne Österreich) für die breite Bevölkerung in zahlreichen Berichten visuell verhandelt.
Der Stern war dafür bekannt, politische Themen vor allem durch Reportagen und Bilderzählungen in die deutschen Haushalte zu bringen. So war der Politiker Willy Brandt, seine Ostpolitik genauso wie der Mensch, in Reportagen und Einzelbildern präsent. Beliebt waren Vergleiche mit anderen Politikern, Einblicke abseits des politischen Hauptauftrittes, genauso wie private Szenen.
Für das Titelblatt, welches Jahrzehnte nur Frauen, gerne auch spärlich bekleidet, zierten, galt Brandt gerade in seinen Kanzlerjahren als Verkaufsargument. Mindestens sieben Mal blickte Brandt als Fotografie den Stern-Lesern und Stern-Leserinnen vom Titelblatt entgegen, weitere Abbildungen in Illustrationen und Zusammenstellungen mit anderen Personen nicht mit eingerechnet. Alleine für den Stern begleiteten mehrere renommierte Fotografen wie Volker Hinz, Thomas Höpker, Robert Lebeck, Stefan Moses und Max Scheler den Politiker Willy Brandt zum Teil über Jahre. Dass diese Bilder über ihre zeitgenössische Veröffentlichung hinaus wirken, zeigte u.a. die Ausstellung «Willy Brandt – Eine Hommage in Bildern» im Willy-Brandt Haus 2014, welche auf den ehemals fotojournalistischen Aufträgen basierte.
Besonders Gestiken und Gesichtsausdrücke wurden von der Redaktion gerne genutzt. Im Zusammenspiel mit den Überschriften wurden sie (um)gedeutet. In einem Bericht zu Absichten einer möglichen Großen Koalition zwischen CDU und SPD 1966 wurde das abstrakte Thema durch die bekannten Führungspersonen Kurt Georg Kiesinger und Willy Brandt personalisiert dargestellt. (Stern Nr. 50/1966, 11.Dezember 1966) Die Einladung zum Mitregieren an die SPD nimmt die Bild-Text Kombination der ersten Doppelseite durch die gezeigte Gestik auf.
Das Bildmaterial resultierte in diesem Fall aus offiziellen Terminen. Kiesinger zeigt auf Brandt, beide stehen um einen Tisch herum. Die Protagonisten in diesem Bild vertraten ihre jeweilige Partei, welche sich für Verhandlungen nicht nur sprichwörtlich mit an den Tisch setzten. Durch die Perspektive ist Kiesinger deutlich größer als Brandt, auch ein Hinweis auf die damaligen Machtverhältnisse. Die Kritik des Berichts bezieht sich auf die ehemaligen Kontrahenten und äußert Unverständnis über die Kooperationsabsichten. Während Brandt hier visuell für die Partei einstand, wurde im Text jedoch Herbert Wehner die «Verkupplung» mit der CDU/CSU zugeschrieben.
Für die Berichterstattung konnten die festangestellen Stern-Fotografen unterschiedliche Arbeitsweisen verfolgen. Vereinbarte Termine dienten dazu, eine bewusste Situation zwischen Fotografen und Person zu schaffen. Bereits als Außenminister wurde Brandt von Stern-Fotografen begleitet und persönlich von Chefredakteur Henri Nannen besucht, etwa in seiner Dienstwohnung in Bonn. Dorthin verschlug es Brandt 1966 mit dem Amt des Außenministers in der Großen Koalition der Regierung unter Kurt Georg Kiesinger.
Seine Dienstvilla auf dem Bonner Venusberg, die Brandt im Januar 1967 bezog und auch als Bundeskanzler weiter bewohnte, bot mit ihrem Pool eine willkommene Kulisse für den Stern-Fotografen Robert Lebeck. In der Bildabfolge der Heft Rubrik «bon(n)bons» schwimmen Nannen und Brandt, bevor sie vor der Treppe stehen bleiben und Nannen dem Außenminister den Vortritt lässt. Beide scheinen lächelnd von der Situation amüsiert zu sein.
Lebeck beschreibt in seinem Buch «Rückblende» die marginalen Einschränkungen, die ihm während des Termins gegeben wurden: «Brandt hatte übrigens nichts gegen meine Pool-Fotos – vorausgesetzt, er sei nicht mit ganzem Körper zu sehen.» Lebeck vermutete hier, dass der SPD-Chef sich aufgrund des Skandals von 1919 nicht in Badehose ablichten ließ. Damals löste das Titelblatt der «Berliner Illustrierten Zeitung» mit Friedrich Ebert und Gustav Noske in Badehose einen großen Skandal aus.
Seine Vermutung äußert er jedoch nicht gegenüber Brandt. Abgedruckt wird die Bildabfolge noch Jahre später, etwa in der Sonderausgabe zum 30. Jubiläum des Sterns vom 25. Dezember 1978 mit der Aussage: «Sie mochten sich politisch und persönlich» und in einem weiteren Sonderheft «100 Jahre Nannen» 2013. Die Wiederholung in den Sonderheften zeugt von einer besonderen Bedeutung für den Gründer und Chefredakteur des Sterns, Henri Nannen. Beide Hefte, in denen der Abdruck erfolgte, waren ihm zentral gewidmet. Die Verwendung der Bilder kann unterstützend für das vielfach zugeschriebene gute Verhältnis zwischen dem Politiker Brandt und dem Journalisten Henri Nannen gelesen werden.
Eine weitere Möglichkeit für die Stern-Fotografen war die längere Begleitung Brandts auf seinen Reisen oder im Arbeitsalltag. Dies garantierte eine breitere Motivauswahl und situative, szenische Motive. Lebeck beschreibt in seiner Autobiografie «Rückblende», wie bei seiner Begleitung von Brandt im Urlaub eine tägliche, aber zeitlich begrenzte fotografische Dokumentation ermöglicht wurde. Willy Brandt nutzte wiederum als politischer Akteur diese Wirkung und gewährte den Fotografen Zugang abseits der öffentlichen Termine. Bei den Bildern handelte es sich nicht um gestellte Aufnahmen, dennoch war der «öffentlichen Person» die Anwesenheit der Kameras bewusst.
Die alltäglich oder spontan anmutenden Szenen wurden im weiteren Prozess der redaktionellen Verwendung durch Auswahl und textliche Verweise gerne an weitere Bilder geknüpft. So titelte der Stern «Sancho Pansa» für den Ritt von Brandt auf einem Esel bei seinem Urlaub auf Fuerteventura 1972. In Bezug auf die Präsenz des damaligen Bundeskanzlers im Stern formulierte Lebeck, «Brandt war immer für eine Stern-Story gut, er galt als Popstar unter den Politikern, und sein größter Fan hieß Henri Nannen.» Dass auch die Bilder von Lebeck die Wahrnehmung über Willy Brandt über ihre erste Veröffentlichung im Stern hinaus prägen, zeigen u.a. eine Ausstellung und eine Skulptur, welche 2017 auf der Insel aufgestellt wurden.
Mit dem Entschluss, aus mehreren Bildern sich für ein spezielles Bild zu entscheiden, wurde das «passende» Bild zur Repräsentation von der Redaktion an die Leser weitergegeben. Diese Auswahl war nicht den Fotografen überlassen, sie wurde von der Bildredaktion und Chefredaktion im Stern durchgeführt. Nachdem das Misstrauensvotum gegen Brandt im April 1972 gescheitert war, schien der Erfolg im Bundestagswahlkampf umso wichtiger. Das Covermotiv und die Schlagzeile «Da strahlte Willy Brandt» unterstützen sich gegenseitig in der Aussage über den emotionalen Wahlkampf und die Personalie Brandt.
Die vorausgegangene Wahl erzielte eine in der Geschichte einmalige Wahlbeteiligung von 91,1 Prozent. Das zeitgleich entstandene, aber dennoch etwas nachdenklichere Motiv von beiden findet sich zwei Jahre später als Schlussbild in der Berichterstattung über den Rücktritt im Stern. Die Umarmung von Willy Brandt und seiner damaligen Frau Rut wird erneut verwendet und referiert auf die eigene, von Redaktionsseite vorgenommene Gewichtung des Bildes. Die Stern-Leser konnten sich sicherlich erinnern, vielleicht auch an ihre Gefühle zur Wahlentscheidung. Nicht immer waren das Ereignis und das gewählte Bild damit deckungsgleich. Trotz Unmengen an Bildern wurden manche Motive mehrfach genutzt, um eine gewünschte emotionale Aussage treffen zu können.
In der Wahlberichterstattung gehörte die Ehefrau zum politischen Ehemann dazu. So wurden neben Rut Brandt ebenso Mildred Scheel oder Kriemhild Barzel nicht nur in der Wahlberichterstattung gezeigt, sondern auch ihre vermeintlich ausgedrückten Gefühle auf den Bildern stellvertretend für die politische Situation ihrer Männer genutzt. Für die Wahlberichterstattung 1972 gelangen Bilder von elf Fotografen in das Heft. Hanns-Jörg Anders, Dieter Heggemann, Thomas Höpker, Fred Ihrt, Robert Lebeck, Herbert Peterhofen, Dirk Reinartz, Max Scheler, Eberhard Seeliger und Peter Thomann arbeiten bereits fest für den Stern. Volker Hinz kam zwei Jahre später in die Redaktion. Private Einblicke ließen sich gerade über die klassische Rolle der Ehefrau erzählen und Rut Brandt wurde im Zuge dessen selbst zum Mittelpunkt der Berichterstattung.
Die Vielfalt der Bildsprache um die Person und den Politiker Brandt erscheint heute außergewöhnlich. Neben den Bildern der Fotografen gehen die Bildredakteure auf die Suche nach Archivmaterial. Im Artikel «Wo Willy Brandt noch Herbert heißt» betonen die direkte Nähe der beiden Fotografien des jungen Brandts und Julius Leber den Stellenwert und die Relevanz, die dem hier noch aktiven Brandt zugemessen wird für die politische Geschichte. Ehemals private Bildmotive, sowie historische Bilder nehmen Anleihen an die geläufige Form der privaten Bilddokumentation in Familienalben, gelayoutet für die Veröffentlichung eines Millionenpublikums. Auch in Berichten über Brandts Zeit im Exil in Norwegen finden mehrere Narrative zugleich statt. Nicht nur der Familienmensch, auch für den Ruf des «Womanizers» wird hier visuell eine Fährte gelegt. Es vermischten sich im Artikel historische Bezüge und Attribute für eine aktuell handelnde Person.
Die Breite der Berichterstattung und die diversen fotografischen Einblicke resultierten aus dem wöchentlichen Erscheinen der Hefte und der eigenen Themensetzung durch die nicht tagesaktuelle Berichterstattung. In der Form der fotografischen Berichte wurden ereignisbezogene Informationen geliefert und ebenso eigene Zugänge gewählt. Dabei changierten Information und Unterhaltung, Neutralität und Parteilichkeit immer mit dem Ziel, Interesse und Emotionen hervorzurufen. Die Nähe zur Person ist durch gezielte Überlegungen und Abwägungen von redaktioneller Seite auf den Heftseiten gestaltet worden. Die populäre Kultur der Illustrierten unterstützte und formte, maßgeblich über visuelle Inhalte, eine neue Popularität der Politikerpersönlichkeit und das Bild eines ihrer «Kamerastars», Willy Brandt.
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