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Kolumne

Café Herbst
oder die Reise zum Amazonas

aufgezeichnet von
Edgar Herbst

Dies ist die Geschichte des Zuckerbäckersohns Edgar Herbst, der zum visuellen Aufzeichner avanciert. Er notiert seine Wahrnehmungen des Aufwachsens in der Harzer Natur in der späten Nachkriegszeit und irrt auf unbestimmten Pfaden der Provinzen bis in die Metropolen Frankfurt - Hamburg - Berlin. Anerkennung suchend und Aufmerksamkeit erweckend, mit zerfleddertem Smoking und brandlöchrigem Seidenschal, selten ohne Hut, schenkt er sein Auge der gesellschaftlichen Dekadenz, übermütig in der Darstellung seines Gegenüber und seiner selbst. Aus diesem geistigen und materiellen Archiv soll - schonungslos und gleichsam von Selbstironie gezeichnet - ein Buchwerk panoptischer Fülle entstehen. 

Text — Edgar Herbst – 15.12.2021

Fotos — Archiv und Edgar Herbst

Teil 4: Innige Umarmung

Schmetternd zerbirst die weiße Tür, hinter der sich die Mutter versteckt. Der Vater hat mit zorniger Gewalt mit dem großen Hammer auf seine Liebe eingeschlagen. Die weißen Scherben des Milchglasfensters säumen die traurige Kulisse spitz und scharf.

Schmerz, Stille, Ohnmacht.

Das schreiende Kind auf den Armen einer Bediensteten sehnt sich nach den sanften, zarten Armen der Mutter, in Traute, Angeschmiegtheit und Wärme; die starken, kräftigen Arme des Vaters sollen bitte den Kreis schließen, in Schutz, Behutsamkeit und Liebe.

Brennende Dunkelheit wirft schattenlose Schatten zitternder, flackernder Körper auf das Parkett. Träumend, funkelnde Augen, verschlingend tastende Hände, im Rythmus wallender Adern, pulsierender Herzen, wollülstig, glühende Lippen sehnen nach inniger Umarmung.

Schweißperlentriefende Haut – Berührung – Eins im Inneren fühlen.

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Von oben links nach unten rechts: Tanzabend auf einem Kreuzfahrtschiff in der Karibik, 1992; Pacha Ibiza, 1992; Im «Le Queen» Paris, 1993; Edgar im Kurpark Bad Lauterberg im Harz, 1964. 

 

Edgar Herbst
1961 nach wilder bis halsbrecherischer Slalomfahrt im Mutterleib, hochsommerliche Ankunft in der blass colorierten schwarz-weiss Kulisse des Kurortes Bad Lauterberg. Frühkindlicher Taumel durch den idylisch anmutenden Kosmos der Grossfamilie, Zuckerbäckerei, Pferdeherden, Wasser- und Schneeathleten, inmitten des Harzgebirges untermalt von Hexentanz und Geistersynphonien. Irritiert, sprachlos ob der Selbstsprengung der Familie. Erste Selbstwahrnehmung lebendigen Seins auf dem Internat Schloss Varenholz unter Gleichgesinnten in der Knospenzeit des jungen irr Wandelnden. Metropolenberührung in Frankfurt am Main, Erforschung der Großstadt mit hungrigen Augen im zwielichtigen Areal. Entdeckung der Liebe zur photographischen Aufzeichnung. Hingabevolles Wirken in der medialen Magazinwelt «Orangepress», brodelndes Labor, psychedelische Wirkstoffe und Feuerwasser fördern die Sehformel in rauschhaften Prozessen. Hamburg - Festung der bedruckten Blätter; zum Exzess beauftragt und diesen verinnerlicht. Monitäre Unüberschaubarkeiten, Flucht zum ich - Berlin! Insozialer Absturz - Clochard de luxe - Schmerz, Rausch, Schöpfen in Erschöpfung; gefühlt Ober- und Unterkante Universum, Abstinenz- statt Absinth - Belebung des Innen und Außen - im Beiboot des Dampfers die unvermeidliche Selbstironie Lebens und Sterbens. Waghalsiger Plan der Liebe einen Sockel zu kreieren - immer mit nervösem Charakter friedlicher Manie.
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Café Herbst
oder die Reise zum Amazonas

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ReVue ISSN2750–7238

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