Feldarbeit

Intimate Stranger

«Needing Smush» © Zachary Balber

«Mir gefiel die Vorstellung, dass der Zuschauer in das Vergehen einbezogen wird»

Auf den ersten Blick sind die Bilder von Zachary Balber vor allem eines: urkomisch. Besonders, wenn man weiß, wie sie entstanden sind. Gebucht als Fotograf für Luxusimmobilien in Florida, nahm er in diesen Häusern heimlich Selbstporträts auf. Zunächst wollte er sich privat nur ein wenig lustig machen über die Absurdität jenes Reichtums, den er fotografieren sollte, doch dann entwickelte sich daraus ein eigenes Fotoprojekt.

Zachary Balber im Gespräch mit Andrea Walter  — 22.05.2024  

Fotos — Zachary Balber

Es ist 10 Uhr morgens in Miami. Zachary Balber erscheint mit einem Kaffee in der Hand vor dem Zoom-Bildschirm, um über seine Arbeit «Intimate Stranger» zu sprechen – eine Serie von 150 Bildern, die er in einigen der exaltiertesten Luxuswohnungen in Florida aufgenommen hat. Offiziell als Fotograf für den Immobilienmarkt gebucht, nahm er jene glitzernde Parallelwelt nebenbei auf die Schippe – indem er sich heimlich in diesen Häusern inszenierte.
 
So ist auch das Gespräch mit ihm: heiter und lebendig. Er lacht und rudert mit den Armen, während er erklärt, was ihn zu dieser Arbeit inspirierte. Doch sein Werk hat auch einen ernsten Kern. Die Frage, was es bedeutet, irgendwo «zu Hause» zu sein, die über seinen Inszenierungen schwebt, rührt auch daher, dass Zachary Balber seine  Familie viel zu früh verlor.
 
Hinter seinen Bildern steckt daher weit mehr als nur ein Jungenstreich. Es ist die Suche nach dem eigenen Platz in einer Welt voller inszenierter Identitäten. Der Wunsch, herauszufinden, wer man wirklich ist. Aber davon erzählt er am besten selbst...

Chinchila-Surfboarding

«Chinchilla Surfboarding» © Zachary Balber

Ein Fremder in ihren Häusern

ANDREA WALTER: Herr Balber, in Ihrer Foto-Serie «Intimate Stranger» sehen wir Sie nackt auf dem Bett einer Luxuswohnung in Miami liegen. Was war da los?

ZACHARY BALBER (grinst): Oh, mein Gott, es sind viele Dinge passiert, damit das passieren konnte! Ich bin Fotograf, Künstler und Kunstdokumentar. Aber zu jener Zeit wurde ich beauftragt, große Häuser oder Luxuswohnungen für Immobilienmakler oder Architekten zu fotografieren – zum Teil in einigen der exklusivsten Häuser in Miami. Und während ich das tat, dachte ich ständig: Wow, sie haben mich gerade in ihren intimsten Raum gelassen. Sie kennen mich nicht einmal. Ich bin ein Fremder, aber ich bin in ihrem Haus, in ihrem Schlafzimmer, und mache Fotos. Hier herrscht so viel Vertrauen! Was wäre, wenn ich verrückt wäre? Oder ein Dieb?

 

«Ich bin ein Fremder, aber ich bin in ihrem Haus, in ihrem Schlafzimmer, und mache Fotos. Hier herrscht so viel Vertrauen!» – Zachary Balber

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Von oben nach unten: «Goldilocks», «A Moment of Silence» and «Garbage Pale Kid» (c) Zachary Balber

Aus der Kunstwelt in den Immobilienmarkt

Moment – Sie wurden von Immobilienmaklern beauftragt, diese Häuser zu fotografieren, damit sie verkauft werden konnten. Wie kam das?

Ich fing mit der Immobilienfotografie an, um mein Portfolio zu vergrößern, da ich von der Kunstfotografie allein anfangs nicht leben konnte. Davor war ich hauptberuflich Künstler. Aber zur Wahrheit der Kunstwelt zählt auch: Man ist nur für eine kurze Zeit angesagt, danach ist man nicht mehr so wichtig. Nachdem ich mehrere Einzelausstellungen in Museen hatte und mit meinen Bildern sogar auf der Art Basel war, wurde ich von dieser Realität eingeholt.
 
Wie kamen die Immobilienmakler auf Sie?

Ich erlaubte Medien wie der New York Times oder dem Wall Street Journal, meine Bilder zu verwenden – wenn sie nur meinen Namen daruntersetzten. Man könnte auch sagen, ich hinterließ hier und da Brotkrumen meiner fotografischen Ästhetik. So fanden die Agenten mich.

Ein weiterer Vorteil war, dass ich bei dem Modefotografen Bruce Weber gelernt hatte. Ich war ein paar Jahre lang sein Assistent. In der Branche wurde das zu so etwas wie einer schwarzen American-Express-Karte: «Du hast mit Bruce Weber gearbeitet? Du bist gebucht!»

Auf welche Art haben Sie die Luxuswohnungen fotografiert?

Ich beschloss, die Ästhetik auf eine neue Weise zu erhöhen: Ich nahm die Fotos auf, als ob ich ein Kunstwerk dokumentieren würde. Was mir dabei half, war, dass ich zu Beginn meiner Fotografie-Karriere, so arm war, dass ich mir keine guten Kameras leisten konnte. Deshalb wurde ich ein guter Bildbearbeiter, um meinen Mangel an Ausrüstung auszugleichen.
 
Ich wählte daher jedes Objekt auf jedem Foto aus, legte eine Maske dafür an und hatte jeden Bereich des Bildes unter meiner Kontrolle, so dass ich die Farben und die Beleuchtung ändern konnte. Deshalb sehen die Fotos auch so aus, wie sie aussehen: Es gibt nichts, was fehl am Platz ist. In gewisser Weise wurden die Aufnahmen zu Gemälden, denn der Grad der Kontrolle, die ich in jedem Foto ausübte oder der Bearbeitungs-Entscheidungen, die ich für jedes Zimmer traf, war verrückt.

«Ich beschloss, die Ästhetik auf eine neue Weise zu erhöhen: Ich nahm die Fotos auf, als ob ich ein Kunstwerk dokumentieren würde.» – Zachary Balber

Das Spiel mit der Ästhetik

Sie sagten mal: «Lügen sind die Grundlage der Immobilien-Fotografie».

Klar, wenn man ein Haus oder eine Eigentumswohnung kauft, glaubt man den Fotos doch längst nicht mehr. Man weiß, dass sie nicht wahr sind. Blauer Himmel, grünes Gras, weite Blickwinkel – alles ist perfekt. Ich dachte ständig: Es ist fast so, als würde man den Kubismus wieder aufleben lassen, bei dem die Sättigung im Hintergrund dieselbe ist wie im Vordergrund.
 
Viele der Häuser sehen irgendwie aseptisch aus, nicht echt...

Stimmt. Aber das ist die Ästhetik, die in der Fotografie hier vorherrscht. Man muss wissen, dass Miami keine besonders alte Geschichte hat. Die einzige Geschichte, die wir haben, ist die Werbung – «Komm nach Miami Beach!» Es gibt daher eine bestimmte ästhetische Sprache in Miami, und meine Arbeit fängt sie ein – aber nimmt sie aufs Korn.
 
Mit der Zeit wurden jene Luxuswohnungen für Sie zu Theaterbühnen, auf denen Sie heimlich Ihr eigenes Stück aufführten…

Ja, aber zunächst beobachtete ich die Agenten und ihre Assistentinnen, die meist anwesend waren, während ich fotografierte. Oft machten sie Selfies von sich auf den Balkonen – hübsche Mädchen, schönheitsoperiert, die Brüste nach vorn gereckt – was auch immer man sich vorstellen kann! Später posteten sie diese Bilder auf ihren Instagram-Kanälen. Und ich dachte: Wow, wir leben in einer Welt voller falscher Identitäten, die man mit einem Foto in nur einer Minute inszenieren kann!
 
Wann machten Sie das erste Bild von sich?

Das war in einem Badezimmer, das in Wassermelonenfarben gehalten war – alles war rosa und grün. Es war das schlimmste Badezimmer, das ich je in meinem Leben gesehen habe (lacht). Ich wollte es fotografieren, aber dann wurde mir klar: Allein das Foto des hässlichen Zimmers reichte mir nicht aus, um zu beweisen, wie bescheuert und unwirklich diese Einrichtung aussah. Indem ich mich mit einer Sonnenbrille auf der Toilette ablichtete, wurde ich in gewisser Weise zum Beweis.

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«Watermelon Sun Gazing» © Zachary Balber

«Allein das Foto des hässlichen Zimmers reichte mir nicht aus, um zu beweisen, wie bescheuert und unwirklich diese Einrichtung aussah.» – Zachary Balber

Die Makler waren direkt nebenan

Dachten Sie damals schon darüber nach, diese Selbstporträts zu veröffentlichen?

Nein! Als ich damit anfing, war es zunächst nur ein privater Scherz – ich ging in diese Häuser, machte heimlich Selbstporträts und schickte sie an meine Freunde und Familie. Ich weiß noch, wie meine Mutter einmal sagte: «Zack, du wirst noch Ärger bekommen, wenn du das machst!» Aber wer sollte schon was sagen? Ich hatte nicht vor, diese Arbeit zu veröffentlichen.

Mit der Zeit wurde daraus dann fast so etwas wie ein  Rorschach-Test (ein psychologischer Test, bei dem die Probanden Tintenkleckse deuten) – ich ging in ein Zimmer und schaute mich um, um zu sehen, welches Gefühl oder welche Vorstellung einer Persönlichkeit es mir vermitteln würde. Und ich nahm die Fotos auf, während die Immobilienmakler sich in einem anderen Zimmer aufhielten. Sie waren also direkt nebenan...
 
Sie hätten Sie jeden Moment erwischen können?!

Das war ja das Lustige! Wäre es einfach gewesen, wäre es langweilig. Erst als ich die Serie fertig hatte, fiel mir übrigens auf, wie komponiert die Fotos aussahen. Als hätte ich den ganzen Tag dafür Zeit gehabt. Aber normalerweise hatte ich nur ein oder zwei Minuten! Deshalb habe ich gelernt, mich sehr schnell auszuziehen! (lacht)
 
Außerdem erfand ich gegenüber den Agenten alle möglichen Ausreden – wie «Sie können gerade nicht reinkommen, weil das Stativ hinter der Tür steht» oder «Geben Sie mir nur zwei Minuten!» – um ein bisschen Puffer zu haben, meine Sachen wieder anzuziehen...

«Erst als ich die Serie fertig hatte, fiel mir auf, wie komponiert die Fotos aussahen. Als hätte ich den ganzen Tag dafür Zeit gehabt. Aber normalerweise hatte ich nur ein oder zwei Minuten! Deshalb habe ich gelernt, mich sehr schnell auszuziehen!» – Zachary Balber 

Inszenierte Träume

Wann haben Sie das erste Nacktfoto gemacht?

Ich war in einem Haus mit einem unglaublichen Blick auf den Ozean. Das Bett war mit Chinchilla bezogen – dem weichsten Fell der Welt. Auf dem Boden lagen Nerzteppiche. Über dem Bett befand sich ein Kronleuchter. Alles war so opulent. Es war verrückt! Es sah aus wie ein Renaissance-Gemälde. (Anmerk. d. Red.: Es ist das Bild am Anfang des Textes.)
 
Also zog ich mein Hemd aus und tat so, als wäre dies mein Bett und die Welt, in der ich morgens aufwachen würde. Es war wie ein Traum. Und ich habe diesen Traum Wirklichkeit werden lassen. Das erinnerte mich an etwas, was Susan Sontag einmal gesagt hat: «Fotografien sind eine Möglichkeit, die Realität einzusperren ... Man kann die Realität nicht besitzen, man kann Bilder besitzen – man kann die Gegenwart nicht besitzen, aber man kann die Vergangenheit besitzen.»

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«Bonita Applebum» © Zachary Balber

Was, wenn ich erwischt werde?

Was reizte Sie an der Nacktheit?

Nur, um es festzuhalten: Meine Fotos sind nicht alle Aktfotos! Unter den 150 Bildern sind vielleicht 15 Akte. Aber ich glaube, ich habe mit ihnen angefangen, weil ich begann, das Risiko zu genießen. Denn Fotografie kann sehr langweilig sein, wenn man gut darin ist und die Mechanik der Kamera kennt. Außerdem gefiel mir die Vorstellung, dass der Zuschauer in das Vergehen einbezogen wird.
 
Ich ließ mich von der Idee der impressionistischen Maler inspirieren, die glaubten, dass das Publikum das Werk vollendet. Durch das Betrachten meiner Bilder wird der Zuschauer Teil des Fotoverbrechens. Dann wiederum begann ich mich zu fragen: Ist es wirklich ein Verbrechen, ein Foto zu machen? Ist das etwas Illegales? Und wie komme ich aus der Sache heraus, wenn ich erwischt werde?

«Ich began, das Risiko zu genießen»
– Zachary Balber

Experimente der Selbsterforschung

Wurden Sie jemals erwischt? 

Viele Male fast! Manchmal wurde ich dabei erwischt, wie ich meine Schuhe wieder anzog. Dann sagte ich: «Ich habe sie ausgezogen, um den Teppich nicht schmutzig zu machen.» Zugleich hatte ich große Angst, denn ich wusste: Wenn ich erwischt werde, gibt es nichts, was ich noch sagen kann. Ich liege nackt auf dem Bett. Sie werden mich umbringen! Aber ich glaube, dass genau das die Serie belebt und vorangebracht hat.
 
Inwiefern?

Diese Bilder aufzunehmen, war anfangs ja eher ein persönlicher Scherz und ein Seitenhieb auf die Wohlstandskultur – diese Leute mit so viel Geld. Aber dann, Jahre später, ging es gar nicht mehr darum. Es wurde zu einer Erforschung meiner Identität.

Das Fotografieren wurde zu einer Möglichkeit, mein eigenes Ich zu erkennen. Ich glaube, das ist etwas, das passieren kann, wenn ein Künstler über einen längeren Zeitraum hinweg an einem Werk arbeitet. Man fängt irgendwo an, aber dann landet man an einem ganz anderen Ort, als man sich vorgestellt hat.
 
Was haben Sie getan, um Ihre Identität zu erforschen?

Oft habe ich in verschiedene Versionen meines Selbst hineingeschnuppert. Manchmal probierte ich unterschiedliche Schattierungen von Männlichkeit aus, dann wieder posierte ich wie eine Frau. Ich krümmte meinen Rücken und versuchte, weibliche Manierismen an den Tag zu legen.

Ich bin heterosexuell, aber ich glaube, dass viele heterosexuelle Männer so homophob sind, dass sie nicht wissen, wie sie ihre Flügel ausbreiten und ohne Scham verschiedene Seiten ihrer selbst austesten können. Und in dieser Serie ging es wirklich darum, keine Scham zu haben.

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Von oben nach unten: «Back to Back two Back», «Y Axis» und «Groundlessness» © Zachary Balber

«In dieser Serie ging es darum, keine Scham zu haben» – Zachary Balber

Spuren des eigenen Lebens

Abgesehen davon verarbeiten Sie in Ihrem Werk aber auch einen sehr traurigen Teil deines Lebens...

Das stimmt. Ungefähr sechs Monate, nachdem ich die Immobilienfotografie angefangen hatte, wurde bei meiner Mutter Krebs im Endstadium festgestellt. Ich erhielt die Nachricht, dass sie sterben würde, mitten in einem Fotoshooting. Also beschloss ich, ein Foto von mir in diesem Moment zu machen. Ich kletterte auf einen runden Stuhl, der sich wie der Schoß einer Mutter anfühlte, und hielt mich selbst fest. In meiner Arbeit gibt es alle möglichen subtilen Symbole, die sehr persönlich sind.
 
Was findet sich da noch?

Als meine Mutter an Krebs erkrankte, hatte sie verschiedene Perücken, sie fragte mich: «Willst du sie für irgendetwas verwenden?» So kam es, dass ich die Perücken bei den Fotoshootings aufsetzte und mich mit ihnen in Pose warf, wenn es zur Situation vor Ort passte. Ich nahm auch eine Halloween-Maske aus meiner Kindheit mit. Und eine amerikanische Flagge von meinem Großvater. Er diente während des Vietnamkriegs in der Armee, und als er starb, bekam die Familie diese gefaltete Flagge. Auf einem der Fotos habe ich sie aufgefaltet.
 
Außerdem gibt es ein Bild von mir in einem Raum, der aussieht wie ein Ort, an dem Leute Kokain konsumieren. Ich sehe aus, als hätte ich eine Überdosis und wäre in einem Stuhl gestorben. Ich habe das Foto gemacht, weil ich meine Schwester durch eine Überdosis verloren habe, als ich 22 war. Als meine Mutter krank wurde, war sie mein letztes enges Familienmitglied. Meine Schwester und mein Vater waren bereits verstorben.

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Von oben nach unten: «Fuck It », «Nicotine Patch Prayers» und «Avedon Smiles» © Zachary Balber

Zwischen Disney World und Krankenhaus

Und Sie mussten in dieser Zeit des Schmerzes und der Trauer Luxuswohnungen fotografieren...

Ja, ich hatte oft das Gefühl, dass ich gebeten wurde, Disney World zu dokumentieren. Ich bin jeden Tag aufgewacht und habe versucht, in Disney World zu sein, während mir in Wirklichkeit nach Weinen zumute war und ich nicht aus dem Bett kam. Und nachdem ich in Disney World war, ging ich ins Krankenhaus, um meine Mutter zu sehen, die sich ihrer Krebsbehandlung unterzog.
 
Die Gleichzeitigkeit innerer Zerrissenheit und großer Schmerzen und die Tatsache, dass ich am nächsten Tag wieder nach Disney World fahren musste, war für mich schrecklich. Diese Fotos von mir selbst zu machen, war, glaube ich, ein Weg, ein Spielfeld zu ebnen. Die Fotografie war das Einzige, an dem ich mich festhalten konnte. Wie in «Charly und die Schokoladenfabrik» habe ich versucht, mein «Goldenes Ticket» zu finden. Jedes Foto wurde wie mein «Goldenes Ticket», meine Flucht.

Wann haben Sie entschieden: Jetzt zeige ich diese Bilder der Öffentlichkeit?

Das geschah erst viele Jahre später, und eigentlich waren es andere, die meine Arbeit ans Tageslicht brachten. Eines Tages bekam ich einen Anruf von einer Frau, die sagte: «Zack, ich weiß, dass du mich nicht kennst, aber mir hat jemand erzählt, dass du diese Arbeit machst.»

Ich wurde still. «Bist du noch da?», fragte sie – ich antwortete: «Bin ich. Aber woher weißt du davon?» Sie sagte: «Du scheinst es der richtigen Person erzählt zu haben.»
 
Offenbar gab es ein wenig Gerede darüber. Und diese Frau – ihr Name ist Erica Ando – kuratierte damals eine Ausstellung namens «Florida Dreaming». Sie handelte von Künstlern in Miami, die sich mit den Trugbildern vom Leben in Südflorida auseinandersetzten. Sie lud mich ein, an der Ausstellung teilzunehmen. Aber ich hatte anfangs Bedenken, diese Arbeit zu zeigen.

Warum?

Ich verdiente immer noch Geld mit der Immobilienfotografie. Außerdem hatte ich Angst, dass ich verklagt werden könnte. Trotzdem gab ich Erica Ando einige Fotos, und sie sagte zu mir: «Das Geniale daran ist, dass du nicht in deinem Atelier abseits der Welt Kunst machst. Du siehst die Kunst in der Welt. Du siehst sie im wirklichen Leben.»
 
Auch später hatte ich einige gute Mentoren, die mir halfen zu erkennen, was ich da tat. Viele sagten zu mir: «Mach weiter so, Zack!»
 
Was bekamen Sie für Reaktionen zur ersten Ausstellung?

Die waren wunderbar. Einige Leute meinten: «Du bist so verrückt, das zu zeigen!» Bald darauf bat mich ein weiteres Museum, meine Arbeit auszustellen. Bevor ich die Bilder also in einer eigenen Ausstellung zeigte, stellte ich Teile davon in drei Museen aus. Dann wurde mir klar, dass man mit einem oder zwei Fotos nicht verstehen kann, worum es eigentlich geht. Also beschloss ich, das ganze Werk zu zeigen.
 
Wie haben Sie das gemacht? Schließlich muss man Ihre Geschichte kennen, um beide Seiten der Bilder zu verstehen...

Stimmt. Der Kurator für Fotografie, mit dem ich zusammenarbeitete, meinte: «Die Schwierigkeit bei dieser Ausstellung ist, dass man die Leute einlädt, etwas zu sehen, das nicht vorhanden ist.» Er schlug daher vor, einen Moment in der Ausstellung zu schaffen, in dem die Menschen, die glauben, das Werk bereits verstanden zu haben, es nochmal mit neuen Augen sehen.
 
Deshalb zeigten wir ihnen zuerst die Fotos, ließen sie lachen und genießen – «Oh, Zack hat Spaß!» Aber dann gab es diesen anderen Bereich mit Fotos von mir als Kind, meiner Mutter, meinem Vater, meiner Schwester. Das war ein Ort, an dem man merkte: Hier stimmt etwas nicht. Es gab eine weitere Ebene, die zeigte, wie sich für mich ein echtes Zuhause anfühlt – im Gegensatz zu den Häusern, die ich dokumentieren sollte. 

«Wir schufen einen Moment in der Ausstellung, in dem die Menschen, die glaubten, das Werk bereits verstanden zu haben, es nochmal mit neuen Augen sahen.» – Zachary Balber

Die Reaktionen

Wie reagierten die Immobilienmakler, für die Sie gearbeitet haben, auf die Veröffentlichung der Fotos?

Drei von ihnen begannen zu lachen und sagten: «Es ist mir egal, was du mit den Fotos macht. Das ist so lustig!» Andere waren schockiert. Zugleich ist es schwer, auf jemanden wütend zu sein, wenn man weiß, dass diese Person das nicht getan hat, um einem zu schaden.
 
Ich wollte den Menschen, die mir das Geld gaben, von dem ich lebte, nicht wehtun. Ich habe das getan, weil es etwas Größeres gab, das mich dazu aufforderte. Mein Kurator sagte: «Das Provozieren ist da, aber es ist nicht der Fokus. Im Mittelpunkt stehst du selbst. Die Immobilienfotografie ist eine Sprache, die jeder kennt, aber mit dir mittendrin, verändert sich die Lesart der Immobilienpropaganda – von einem idealisierten Leben zu etwas anderem.»

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Von oben nach unten: «Stuffed Animal Friends», «Inferiority Complex», «Golden Child», «Booties and Astro Turf to Walk on the Moon» und «Admiring the Adult» © Zachary Balber

Die Arbeit blieb fast zehn Jahre im Verborgenen

Sie waren sich jedoch nicht sicher, ob Sie in diesen Häusern überhaupt eigene Fotos machen durften…

Das war die Frage! Vor meiner Ausstellung sprach ich mit dem Anwalt von Richard Prince, dem Künstler, der oft mit Urheberrechten spielt. Und der Anwalt sagte mir: «Wenn wir eine Ausstellung mit Richard Prince machen, legen wir fünf Millionen auf die Seite für Rechtsstreitigkeiten, aber wir machen zehn Millionen, also ist es uns egal.» Und ich dachte: «Ihr spielt einfach in einer anderen Liga als ich».
 
Der Anwalt, der meine Arbeit sehr schätzte, sagte mir, ich solle vorsichtig sein, denn die Eigentümer dieser Häuser hätten so viel Geld, dass sie mich platt machen könnten, wenn sie mich mit Klagen überhäufen. Aber ich sagte zu ihm: «Sie können mich nicht verklagen. Denn ich habe nichts unterschrieben, das besagt, dass ich das nicht tun darf.» Ich hatte sogar die Urheberrechte an allen Bildern behalten. Dann sagte er: «Du bist frei!»
 
Doch um sicher zu gehen, riet er mir, mindestens fünf Jahre zu warten, bevor ich die Arbeit zeige. Denn wenn man lange genug wartet, sind die Personen, die mit diesen Immobilien in Verbindung gebracht werden, schon wieder andere. Die ursprünglichen Besitzer können mich also nicht verklagen, weil ich ihr Ansehen in der Öffentlichkeit geschädigt habe, denn es gibt keine Verbindung mehr zu ihnen. Das war also alles sorgfältig geplant. Die Arbeit blieb fast zehn Jahre im Verborgenen...

Und? Wurden Sie oft verklagt?

Nicht ein einziges Mal!

Einige Leute, die die Ausstellung besuchten, baten mich sogar, ihre Häuser zu fotografieren. Das zeigt, wie wenig sie sich dafür interessierten – während ich dachte, sie würden mich umbringen!

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