Satellitenaufnahmen dokumentieren aus einer globalen Perspektive infrarstrukturelle Veränderungen durch die chinesische «Belt and Road»-Initiative.
Fragen — Miriam Zlobinski — 27.01.2022
Fotos und Antworten — Davide Monteleone
Ob neue oder alte Wege, es wird angenommen, dass ein Weg oder eine Straße verfolgt werden kann. Im Fall der «One Belt one Road»-Initiative war dieses Vorhaben nicht ganz so einfach. Davide Monteleone reiste über mehrere Jahre durch vier Kontinente und sieben Länder, darunter Äthiopien, Dschibuti, Italien, Kambodscha und Kasachstan.
«Sinomocene» dokumentiert die chinesischen Initiative «Belt and Road» (BRI) oder «Neue Seidenstrasse». Der chinesische Präsident Xi Jinping sieht die Zukunft in diesem Projekt, einem globalen Infrastrukturplan, mit dem die Handelsrouten mit entfernten Märkten weiter ausgebaut werden sollen und «alle Straßen buchstäblich nach Peking führen». Eine Investition von schätzungweise 1 Billion Dollar, mit der 65 Prozent der Weltbevölkerung angeschlossen werden soll.
Miriam Zlobinski: Das Projekt «Sinomocene» behandelt ein chinesisches Regierungsprojekt von enormen Ausmaßen. Wie kam es zu der Idee, diese Dimensionen zu untersuchen?
Davide Monteleone: Ich war gerade in der Ukraine und dokumentierte die Revolution 2014, als ich über eine Zeitungsmeldung stolperte. «Eine neue Freundschaft» sollte China und Russland verbinden, ganz konkret sollte diese Verbindung über ein Gasabkommen stattfinden und unter anderem eine neue Brücke gebaut werden. Beide Länder befanden sich in einer distanzierten Haltung zum Westen und schlossen eine Beziehung mit dem wohl größten Energieabkommen der Geschichte. Zunächst entwickelte sich für mich also ein Projekt zur neuen Beziehung zwischen China und Russland.
Das geopolitische Großereignis hatte deine Neugier geweckt. Aber wie bist du vorgegangen, um das Thema greifbar zu machen?
Ich habe eine Exkursion gemacht, um zu sehen, was sich tat, und musste vor Ort feststellen, es gab nichts zu fotografien – keine Ereignisse, keine Brücke, keine Gaspipline und auch die meisten Leute wussten wenig darüber. Die Fotografie konnte sehr wenig von der Erwartungshaltung erfüllen, die in diesem Fall ein politisches Großereignis aufgebaut hat. Ich entschied mich, gezielter zu suchen.
Es gibt das Bild von den beiden Kosaken auf ihren Pferden am Flußufer. Sie hatten die gleichen Artikel gelesen wie ich und waren sehr besorgt über eine chinesische Invasion. Es gab keine Anzeichen dafür, aber sie patroullierten seitdem jedes Wochenende an diesem Fluss in der Annahme einer akuten Gefahr. Dieses Bild triggerte mich, andere Wege zu suchen, um das Großprojekt zwischen China und Russland fotografisch einordnen und untersuchen zu können.
Die konkreten Fragen nach sozialen und gesellschaftlichen Konsequenzen, genauso wie mögliche Auswirkungen auf die Umwelt, traten in den Fokus. So entstand eine Verbindung zwischen Geopolitik und lokalen Bedingungen.
Oben links: Die Lanzhou New Area ist eine 2012 gegründete wirtschaftliche und politische Sonderverwaltungszone unweit des Gelben Flusses. Sie ist das erste staatliche Neubaugebiet im Nordwesten Chinas. Im Hintergrund des ausfahrenden Zuges entstehen Nachbildungen der Sphinx von Ägypten, des Parthenons, des Sommerpalasts von Peking und der verbotenen Stadt. Oben rechts: Der Gilgel-Gibe-III-Damm ist ein 250 m hoher Walzbeton-Damm mit einem dazugehörigen Wasserkraftwerk am Omo-Fluss in Äthiopien. Es handelt sich um das drittgrößte Wasserkraftwerk Afrikas mit einer Leistung von rund 1870 Megawatt (MW), womit sich die installierte Gesamtkapazität in Äthiopien gegenüber 2007 mehr als verdoppelt. Das 1,8 Milliarden US-Dollar teure Projekt wurde 2006 begonnen und nahm im Oktober 2015 die Stromerzeugung auf. Ein chinesisches Staatsunternehmen lieferte elektrische und mechanische Ausrüstung für das Projekt. Die Vereinbarung wird durch ein Darlehen der Industrial and Commercial Bank of China unterstützt, das angeblich 85 % der Kosten in Höhe von 495 Mio. USD abdeckt.
Ein solches Thema ist eine Herausforderung, auch fotografisch. Es liegt im Medium selbst, dass deine Kamera die Welt in Bilder zerteilt und zugleich mehr mitteilen kann als sie abbildet. Wie bist du hier vorgegangen?
Für das Medium der Fotografie bin ich davon überzeugt, dass alle Versuche mit Fotografie zu dokumentieren, historisch stark mit Geopolitik verknüpft sind, es kann gar nicht unabhängig gedacht werden. Und dann gibt es das «Image», das Bild. Es ist historisch als Form von Information und Propaganda genutzt worden und auch im liberalsten Sinne steckt hinter jeder Bildverwendung eine Agenda. Bilder und Politik haben diese starke Relation zueinander. Da gibt es eine zweifache Verbindung.
Das drängendste Problem ist, dass es fast unmöglich ist, von einem geopolitischen Ereignis ein Bild zu machen. Ich entschied mich daher für eine Kombination aus visuellen Wegen. Mit den Mitteln der Fotografie, Datenvisualisierung und Satellitenaufnahmen. Die Daten halfen mir auch, konkrete Orte für meine fotografische Arbeit zu finden. Viele Dinge liegen im Interesse von Ländern, aber alles läuft an bestimmten Punkten zusammen.
Eine Aufsicht mit zusammengesetzten Satellitenbildern, um den Verlauf der Addis-Dschibuti-Eisenbahn zu dokumentieren. Die Infografiken stellt Monteleone auf seinem Vimeo-Kanal zur Verfügung.
«An die Stelle von China könnten andere Staaten treten oder Unternehmen, die reicher sind als manche Staaten, etwa Amazon und Google.»
Ins Zentrum der Arbeit geriet eine datengestützte Untersuchung und die Frage: Wohin geht das chinesische Geld?
Zunächst habe ich selbst Daten recherchiert, dann arbeitete ich mit Partnern zusammen. Ich sammelte unglaublich viele Zahlen in Bezug auf die Faktoren der kulturellen Integration, Umweltschutz, wirtschaftlichen Entwicklung, internationalen Machtverhältnisse. Mit diesem System war es letztlich nicht schwierig, Ereignisse und geografische Koordinaten mit den Orten zu verbinden, in denen chinesisches Investment getätigt wurde. Die Unterstützung durch ein National Geographic Society Fellowship half.
Es enstanden drei technische Perspektiven, alle verbunden mit einer Apparatur. Auf der einen Seite ein Datenset, das zu einer Visualisierung wurde, die Feldarbeit in Form von fotografischen Expeditionen mit der Kamera, sowie eine globale Dimension mit Hilfe von Satellitenbildern. So kamen Daten und Bildlichkeit zusammen. Veränderungen in der Infrastruktur wurden deutlich. Zugleich versuchten wir, in allen drei Ebenen größtmögliche Präzision herzustellen.»
Der Titel «Sinomocene» ist ein neu erfundenes, kombiniertes Wort. Die Wahrnehmung von China ist zugleich stark historisch geprägt von politischen Entscheidungen und diversen Mechanismen zur Herstellung einer «Fremdheit». Welche Rolle spielt es, dass es um China geht?
Die griechischen Wortteile in Sinomocene stehen für China, Geld und neue Wege. Du weißt rein technisch nicht, wo die «Belt and Road» startet, wo sie aufhört und wie sie sich konkret fassen lässt. Es bleibt immer etwas diffus. Wenn ich die BRI beschreibe, dann verwende ich gerne das Bild eines Korrdiors. Dieser kann für verschiedenen Verbingungen und Zwecke verwendet werden. Es bleibt nie bei einer bloßen Geldbewegung. Es folgen kulturelle Veränderungen und Eingriffe in ökonomische, soziale wie ökologische Verhältnisse an den Orten, an den Chinas Geld auftaucht.
Diese Politik startete lange vor der «Belt and Road» bereits in den 1990er-Jahren. Die chinesische Regierung ermutigt seitdem chinesische Unternehmen, Ausrüstung und Arbeitskräfte in neue Märkte zu exportieren. Zunächst ging es um billige Waren, nun geht es um hochentwickelte Technologien und Infrarstruktur. Rund um diese Bauprojekte hat China mittlerweile alles exportiert, von Geld, Material und Arbeitskräften bis hin zu Touristen, Technologie und Kultur. Der Einfluss ist immens. Ich würde es in etwa mit dem Marshall Plan vergleichen: Die USA lieferten Europa nicht nur Geld und Waren, sondern auch einen «a way of life», der uns bis heute prägt.
Arbeiter und Arbeiterinnen bei der Baumwollernte. Die Region Turkistan im Süden Kasachstans war ein wichtiger Knotenpunkt der alten Seidenstraße, und die Nähe zu Usbekistan macht sie möglicherweise zu einem wichtigen Punkt der «Belt and Road»-Initiative für Waren, die von China nach Zentralasien und Iran reisen.
Aufgrund den Bestrebungen eines jeden Landes nach internationalem Einfluss, bezieht sich deine Arbeit also allgemeiner auf Fragen in Bezug zur sogenannten «Soft Power»?
Mit Sinomocene ist es mein Ziel, die ausgedehnte soziale Pyramide sichtbar zu machen, deren Spitze die enormen chinesischen Finanzinvestitionen sind und deren Basis aus Millionen von Individuen in der Welt besteht. Für mich ist es eine Case-Studie für all diese Bewegungen von Geld mit einer Agenda.
Der Effekt ließe sich auch für große Unternehmen untersuchen, weil wir heute Unternehmen haben wie Amazon oder Google, welche mehr Geld haben als manche Staaten. Sie haben die Power, in geopolitische Themen einzugreifen, auch wenn momentan China oder die Vereinigten Staaten im Mittelpunkt der Öffentlichkeit stehen. Ich kann auch nur darüber spekulieren, was im sogenannten «Metaverse» passieren wird, aber es wird ebenfalls von ökonomischen Überlegungen angetrieben.
Gab es zu einem Zeitpunkt eine offizielle Sprache oder Bildsprache, gegen die du dich im Laufe der Jahre abgrenzen wolltest?
Alleine sprachlich stand ich vor Herausforderungen. Man kann zum Beispiel die Bezeichnung «Taiwan» nicht einfach unkommentiert verwenden. Überall war die Frage relevant, wo eine Form der Propaganda und politische Ansprüche zum Ausdruck kommen. Auch der erste und gerne verwendete Name der «Belt and Road» als «Neue Seidenstraße», erinnert die Welt daran, dass China anknüpfen möchte an die historische Seidenstraße.
Im Gegensatz zu Marco Polo & Co. kommt mit der «Neuen Seidenstraße» jedoch China in andere Kontinente und nicht umgekehrt. Dann änderte sich der Name an einem Punkt und wurde zur «Belt and Road». Da fasste ich den Entschluss, meinem Projekt einen ganz neuen Namen zu geben, eine Art Gegenkartierung bereits im Namen.
In der Bildsprache möchte ich nichts dramatisieren und lasse mich hier inspirieren von der Distanzierheit der Düsseldorfer Schule. Für die Ästhetik suche ich eine Verbindung zwischen Erinnerungen, Eindrücken und Zugängen zu Regionen und Ressourcen. Fotografien entwickeln hier einen Raum zwischen meiner Vorstellung und der Vorstellung der Betrachter. Sie erzeugen damit Aufmerksamkeit, eine ganz grundlegende Eigenschaft.
Das Bild löst keine Frage ohne Kontextualisierung, aber es lenkt auf ein Thema hin. Heute sind so viele Infos verfügbar. Wenn meine Bilder Interesse erzeugt haben, ist der Weg zu mehr Informationen nicht weit. Ich muss also nicht die «Belt and Road» erklären oder Urteile fällen, ich kann Kontext geben und China weder entschuldigen noch anklagen.
Aktuell stehen wir unter den Eindrücken der anhaltenden Pandemie und möglicher Veränderungen auch in der Weltwahrnehmung. Die BRI wird unterdessen weiter vorangetrieben. Handelt dein Projekt überhaupt von der Gegenwart oder ist es vielmehr in der Zukunft angelegt?
Eine gute Frage. Ich würde sagen, das Projekt ist in der Gegenwart verankert. Es ist jedoch unmöglich, einen Schlusspunkt zu setzen. In China wird über die «Belt and Road» öffentlich nicht mehr groß gesprochen. Am Ende des ersten Jahres in der Pandemie wurde jedoch von der «Health Belt and Road» gesprochen. Eine Betonung in Bezug auf Hilfestellung und Lieferwege für Sanitäts- und Impfzubehör.
Mittlerweile ist es die «Green Belt and Road» zu Gunsten der diskutierten Themen einer «Green economy». Es ist interessant, wie ein geopolitisches Ziel langfristig geplant wird und sich weniger im Inhalt als vielmehr in der Vermittlung wandelt.
China verhält sich wie ein Investor. In der Finanzwelt würde man von «Rebalance des Portfolios» sprechen, also einem langen Plan, der nicht aus den Augen gelassen wird, aber beständig Anpassungen erfährt.
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