Theorie
Die Katze, das Foto und das Dazwischen — Ein Essay über den nützlichen und zerstörerischen Gebrauch von Bildern
Text — Fred Ritchin
Übersetzung — Marion Kagerer
Abbildung: Screenshot aus hundred-thousand-faces von Matt Korostoff
In diesem Kontext wird die Ansicht, ein Foto sei mehr wert als tausend Worte, zugleich absurd und faszinierend. Wieso schreiben wir Bildlegenden, die aus ein bis zwei Sätzen bestehen, um Bilder zu erklären, die so komplex sind wie tausend Worte? Die Bildlegende, scheint mir, stellt einen Quantenkollaps dar, das Potenzial des Fotos löst sich unweigerlich auf, die mutmaßliche Wolke aus tausend Worten verdunstet. Die Katze kann nicht mehr tot und lebendig zugleich sein.[1] Die reiche Mehrdeutigkeit des Fotos, als Widerspruch zum schnellen Konsum desselben gesehen, wird zum großen Teil geleugnet, weil sie jede Form von Existenz als definitiv in Frage stellt. Komplexität dieser Art macht es zudem schwierig, das Foto schnell auf Instagram und anderen Social Media-Plattformen zu scannen.
Wenn wir also entschlossen sind, den Reichtum von Fotografien zu feiern statt ihn zu beschränken – wenn wir uns vornehmen, «die Fragen frei zu legen, die von den Antworten verdeckt werden», wie James Baldwin es einmal formulierte[2] – sollten wir ernsthaft über unser Vokabular nachdenken, was den Akt des Fotografierens betrifft. Vielleicht ist es besser, Begriffe wie «schießen», «festhalten», «Schnappschuss» zu vermeiden – Begriffe, die als aggressiv und besitzergreifend empfunden werden können, vergleichbar damit, sich die Seele oder das Eigentum Anderer zu «schnappen» oder sie zu kolonisieren.
Vielleicht ist es an der Zeit, den Blick stärker auf das Making von Fotos in Kooperation mit unseren Sujets zu richten, den belebten und unbelebten. Wir werden feststellen, dass dabei gelegentlich so etwas wie Harmonie entsteht (einer der Gründe, warum es keine ausführliche Geschichte der Fotografie aus der Perspektive der Fotografierten gibt). Das entstandene Bild lässt sich als emblematisch für eine gemeinsame psychische Praxis verstehen, als Manifestation einer Beziehung, nicht ihre Konkretisierung.
Mit solchen Gedanken während des Lockdowns beschäftigt, bat ich die Studierenden meines Online-Seminars, via Zoom interaktive Portraits von Leuten zu machen; sie sollten die Portraitierten fragen, ob und inwieweit das Portrait sie wiedergibt, und die Erklärungen, wie und warum, aufzeichnen. Wer sich die Fotos ansah, konnte, wenn er oder sie Lust hatte, ein Icon anklicken und sich die Antworten anhören. In diesem Experiment traten die Fotografierten als handelnde Personen auf, sie wurden in hohem Maß zu Koautoren und Koautorinnen der Bilder, die Deutungshoheit lag bei ihnen. Es war, als seien wir gewissermaßen im 19. Jahrhundert mit seinen Stativen und Boxkameras [M1] gelandet, wir beschäftigten uns über längere Zeit mit den Menschen, die wir fotografierten, konnten uns nicht schnell wieder aus dem Staub machen. Interaktive Portraits wie diese könnte man beispielsweise von Menschen mit Migranten und Migrantinnen oder Obdachlosen machen, Menschen, die oft als Stellvertreter für eine bestimmte, ungerecht behandelte Bevölkerungsgruppe benützt werden, anstatt sie in ihrer Individualität zu achten. Wenn ich mit Profis über diese Idee sprach, stieß ich weitgehend auf Ablehnung: Diese Art des Sharing schwächt ihre Autorität und Kontrolle.
«Im Mittelpunkt sollte nicht ein unerreichbarer Objektivitätsstandard stehen, sondern der Versuch, in der eigenen Herangehensweise Fairness und Transparenz walten zu lassen.» — Fred Richin
Andere sehen das anders. Josué Rivas, ein Fotograf, der in indigenen Communities arbeitet und ein anderes Seminar von mir belegt hatte, meinte kürzlich, es gehe in dieser Beziehung darum, «gemeinsam ein Bild hervorzubringen, und wenn man es in diesem Bewusstsein tut, wird es zum Ritual. Man erlebt einen Moment der Gemeinsamkeit und Zusammenarbeit. Die Menschen auf dem Bild haben das Sagen, nicht ich.» [3] Das Bild, das dabei entsteht, ist ein Artefakt des Austauschs.
Diese Überlegungen zu den unbegrenzten Möglichkeiten des Bildermachens wurden brutal unterbrochen. In einer Zeit, da die Folgen der Covid 19-Pandemie immer verheerender wurden, eine arglistig kurzsichtige Politik die Situation noch verschärfte und die brutale Ermordung George Floyds durch die Polizei den tiefgreifenden systemischen Rassismus der Gesellschaft deutlich machte, wurde die Beschäftigung mit dem positiven beziehungsweise destruktiven Einsatz von Bildern noch dringender. Ich holte ein Vorwort hervor, das ich für Kike Arnals Fotoband «In the Shadow of Power» aus dem Jahr 2010 verfasst hatte; wäre der Gegenstand seines Buchs (Washington, D.C.) ein Land, so schrieb ich, läge es nach der Lebenserwartung der dort Wohnenden (vorwiegend People of Color) von 72 Jahren auf Platz 120 weltweit, 50 Plätze hinter Mexiko und 14 hinter dem Gazastreifen, obwohl Washington Sitz der US-Regierung mit einem Budget von circa drei Billionen ist.
Bei einer aktuellen Recherche entdeckte ich eine neuere Studie, die die Lebenserwartung in einem bestimmten, vorwiegend nicht-weißen Stadtteil mit 67 angibt, in einem wesentlich wohlhabenderen und überwiegend weißen Viertel liegt sie bei 94 – ein Unterschied von 27 Jahren. [4] Eine weitere, etwas ältere Studie nennt für schwarze Männer in Washington, D.C., eine Lebenserwartung von 68 Jahren, weiße Männer in derselben Stadt würden durchschnittlich 83 Jahre alt; schwarze Frauen hätten eine um neun Jahre niedrigere Lebenserwartung als weiße Frauen. [5]
Es bedarf also enormer Anstrengungen, um diese und andere systemische Ungerechtigkeiten offenzulegen und zu korrigieren, doch einige Studierende aus meinem Dokumentarfotografie-Seminar erklärten plötzlich, nach dem Tod von George Floyd, sie hätten Zweifel an ihrer Berufswahl, kämen sich zu privilegiert vor oder seien verunsichert, ob sie ihren Platz finden würden. Die Praxis, sich mit der Kamera zum Zeugen zu machen, wurde scharf angegriffen und ethisch in Frage gestellt. In einem offenen Brief an die Verwaltung des International Center of Photography in New York forderten zahlreiche ehemalige Studierende und Lehrende (einige von ihnen hatten bis vor kurzem wichtige Positionen inne), aktuell Immatrikulierte müssten «alle Onlinefotos von Protestierenden mit Erkennungsmerkmalen sofort entfernen», und es müssten «Maßnahmen [zur Disziplinierung von Studierenden] geschaffen werden, «die sich weigern, [Posts, die Schwarze, Braune und/oder Indigene einem Risiko aussetzen] aus dem Netz zu nehmen.»[6]
Diverse Publikationen hatten zudem über Apps berichtet, die Gesichter auf Fotos unkenntlich machen können, ihr Einsatz wurde vehement gefordert, wenn Protestierende zu sehen seien. Teilweise wurden Bildreporter bereits als Kollaborateure im Bund mit dem Überwachungsstaats bezeichnet, nicht als Zeugen einer massiven Revolte gegen langjährige, rassistische Politik.
Es gab auch andere Meinungen. Brent Lewis, ein Bildredakteur der New York Times und Mitbegründer von Diversify Photo, einer Plattform, die Bilder von Fotografen und Fotografinnen of Color vorstellt, antwortete in der Zeitschrift Wired: «Hätte man die Gesichter derer, die an den Protestmärschen der Bürgerrechtsbewegung teilnahmen, unkenntlich gemacht, hätte sich in den 1960er Jahren dann so viel bewegt? John Lewis und andere Protestierende wurden niedergeknüppelt, als sie auf der Edmund Pettus Bridge in Selma demonstrierten, Schwarze Erwachsene und Kinder wurden mit Feuerwehrschläuchen abgespritzt: Was würde aus diesen ikonischen, aufwühlenden Bildern, wenn man den Unterdrückten nicht in die Augen sehen, ihre Gefühle nicht nachempfinden könnte? Wenn man die Menschlichkeit und Durchhaltekraft nicht erkennen könnte, die sie haben müssen, um ihr Leben für eine bessere, gleichberechtigtere Zukunft aufs Spiel zu setzen?»[7]
«Wenn man Fotos von Schwarzen Todesopfern macht», schreibt er weiter, «ist es essentiell, die Motivgeschichte im Kontext Schwarzer Aufstände zu kennen. Wer sie kennt, der weiß, wenn man die Schwarzen Todesopfer verschweigt, umgeht man das Problem nicht, sondern ist Teil des Problems.» Und er fügt hinzu, «es geht darum, mit den Protestierenden zu sprechen. Diese Menschen wollen gehört werden und haben etwas zu sagen, sonst wären sie nicht auf der Straße.»
In einer von FOTODEMIC gesponserten öffentlichen Diskussion mit Nina Berman, Brian Palmer und Bayeté Ross Smith, die ich moderierte, war man sich einig, dass das Problem in der Raubtiermentalität der Branche liegt, die ein aufsehenerregendes Ereignis ausschlachten will, statt sich mit den Protestierenden als Menschen zu beschäftigen. Im Mittelpunkt, so das Fazit des Panels, sollte nicht ein unerreichbarer Objektivitätsstandard stehen, sondern der Versuch, in der eigenen Herangehensweise Fairness und Transparenz walten zu lassen. Als Gegenbild zum Raubtieransatz schlug Smith vor, Fotografen und Fotografinnen sollten «über ihren Schatten springen» und sich als Mitmensch begreifen.
Der englische Kritiker John Berger stand der öffentlichen Foto-Ikone schon vor Jahrzehnten ablehnend gegenüber. Er hatte eigene Vorstellungen, wie der Sensationslust entgegenzuwirken, wie essenzieller Kontext zu liefern und die Unterscheidung zwischen privater und öffentlicher Nutzung von Fotografie zu überwinden sei: «Eine alternative Fotografie muss sich die Aufgabe stellen, Fotografie in das soziale und politische Erinnerungsvermögen einzubeziehen. Jetzt hingegen wird sie allgemein als Ersatzmittel genutzt, das die Atrophie jeglichen Erinnerungsvermögens fördert. … Das heißt für den Fotografen, dass er sich nicht so sehr als Berichterstatter für den Rest der Welt betrachten sollte, sondern als jemand, der Ereignisse für die direkt Betroffenen festhält. Der Unterschied ist entscheidend.»[8] Trotz der eigenen physischen Nähe kann das 'Othering', bei photojournalistischen Projekten oft ein zentraler Gesichtspunkt, zu erheblicher Distanzierung führen.
Welche Rolle Fotos in der Berichterstattung über die Pandemie und im Gedenken an die Opfer einnehmen, war ebenfalls Thema ausgiebiger Diskussionen. Die atemberaubende, nur aus Text bestehende Titelseite der New York Times-Sonntagsausgabe vom 24. Mai 2020 erinnerte an eintausend der fast hunderttausend Amerikaner und Amerikanerinnen, die bis dahin an dem Virus gestorben waren, und enthielt keine Fotos. Die Namen der Toten füllten mehrere Seiten, ergänzt durch Alter, Wohnort und, in knappen Worten, einen wichtigen Aspekt im Leben der Verstorbenen. Sie wolle, erklärte die Times, «die Zahl so darstellen, dass Ausmaß und Bandbreite der verlorenen Leben deutlich werden», und habe gleichzeitig «eine leichte Ermüdung bezüglich der Daten» aus den täglichen Meldungen festgestellt. (Online wurde eine andere Version aus kleinen, anonymen Silhouetten veröffentlicht.)
Die nur aus Text bestehende Titelseite der New York Times-Sonntagsausgabe vom 24. Mai 2020 erinnerte an eintausend der fast hunderttausend Amerikaner und Amerikanerinnen, die bis dahin an dem Coronavirus gestorben waren, und enthielt keine Fotos. Bild: The New York Times
Viele fragten sich, warum die Redaktion keine Fotos veröffentlichte, um alle an dem Virus Verstorbenen einzeln abzubilden, so wie es das LIFE Magazin 1969 getan hatte, als es die Lichtbilder von über zweihundert Soldaten brachte, die innerhalb einer Woche im Vietnamkrieg gefallen waren. Vorausgegangene Hefte hatten zahlreiche Bilder von Kampfeinsätzen gezeigt, mit dieser Ausgabe schien LIFE gegen den Vietnamkrieg Position zu beziehen. Warum beschloss die Times, die Toten nicht sichtbar zu machen, um so eine Regierung herauszufordern, die mit ihrer kurzsichtigen und destruktiven Politik die Zahl der am Virus Erkrankten und Verstorbenen erheblich in die Höhe getrieben hatte?
Eine mögliche Antwort ist vielleicht, dass es heute, da Bilder im Kreuzfeuer der Kritik stehen, den Toten gegenüber respektvoller sein mag, sie aus dem Getümmel herauszuhalten. Vielleicht spielt für viele das Foto, das einst als Mittel zur Bildung und Vergewisserung von Identität galt, diese Rolle nicht mehr, da es seine Glaubwürdigkeit als gesellschaftliche Referenz weitgehend eingebüßt hat. Und es könnte sein, dass die Times stark in die Kritik geraten wäre, wenn sie Fotos veröffentlicht hätte, die nicht der demographischen Verteilung entsprechen, zumal bestimmte Bevölkerungsgruppen wie die afroamerikanische und lateinamerikanische eine viel höhere Sterberate hatten als Weiße.
Und dann schaute ich mir 100.000 faces an, ein Online-Projekt, das nahezu aller Amerikaner und Amerikanerinnen gedenken wollte, die seinerzeit an dem Virus gestorben waren. Eine endlose Abfolge von Fotos oder dem, was wie Fotos aussah, «die den Besucherinnen und Besuchern helfen soll, das ungeheure Ausmaß des Geschehens zu begreifen, indem man jedem und jeder Verstorbenen ein Gesicht gibt.» Doch dann liest man: «Die Gesichter auf dieser Seite existieren nicht und haben nie existiert.»
Matt Korostoff, der Software-Ingenieur hinter dem Projekt, erklärte, die Bilder seien «von einem Computer generiert. Sie wurden kuratiert, um eine demographisch korrekte Darstellung der aktuellen Covid-19-Opfer zu bieten, nach Alter, Hautfarbe und Geschlecht.» Die Betrachterinnen und Betrachter werden aufgefordert: «Versuchen Sie, Ihre Zweifel an diesen virtuellen Bildern auszublenden und an die reale Person zu denken, für die jedes von ihnen steht – an das Leben, das sie gelebt hat, die Art, wie sie gestorben ist, und die Familie, die sie zurückgelassen hat.» Aus technischen Gründen, so Korostoff, verwende das Projekt «dreihundert unvergleichliche Bilder, jedes wird nach dem Zufallsprinzip so oft wiederholt, dass es mittlerweile insgesamt 535.000 sind.» (Stand April 2021)
«Als ich dieses Projekt begann, hieß es '100.000 Gesichter'. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass die Zahl der Todesopfer auf mehr als das Fünffache ansteigen würde.»
Abbildung: Screenshot aus hundred-thousand-faces von Matt Korostoff: «Die Gesichter auf dieser Seite existieren nicht und haben nie existiert.»
Parallel zur Debatte, ob man den Überzeugungen von Menschen, die gegen Rassismus protestieren, Anerkennung zollt, indem man ihre Gesichter zeigt, oder sie damit zur Zielscheibe für Verhaftungen macht, gibt es im Zeitalter des Bildes natürlich noch andere schwierige Fragen. Das Gedenken an die Verstorbenen einer Pandemie, ohne deren Gesichter zu zeigen oder mithilfe von Bildern, die keines der Opfer zeigt, macht das Apokalyptische noch abstrakter. Sind wir, vielleicht ohne es zu wissen, in ein postfotografisches Zeitalter eingetreten, in dem Signifikant und Signifikat entkoppelt wurden oder entkoppelt werden müssen?
Das zunehmend manipulierbare Foto gilt nicht mehr als Medium, das, wie einst, Gewissheit liefert. Vielmehr gilt es als Egobooster und potenzieller Brandsatz. Eine der neueren und höchst populären Varianten zum Beispiel, das Selfie, ist weniger ein Selbstportrait zum Zweck der Introspektion als ein Versuch, sich des eigenen gesellschaftlichen Status zu versichern, eine Art Branding.
Die «reality-based community» ist kleiner geworden. Der Begriff geht, so der Journalist Ron Suskind 2004, auf einen Mitarbeiter der Regierung von Präsident George W. Bush zurück, der Kritiker und Kritikerinnen der Regierungspolitik als Menschen verhöhnte, die ihr Urteil auf Fakten gründen: «Der Berater sagte, Typen wie ich gehörten ‚zu dem was wir die reality-based community nennen‘», also Menschen, die «glauben, Lösungen würden aus dem vernunftgesteuertem Studium einer erkennbarer Realität erwachsen.» «So funktioniert die Welt nicht mehr», fuhr er fort. «Wir sind jetzt eine Großmacht, und wenn wir handeln, erschaffen wir unsere eigene Realität. Und während Ihr diese Realität studiert – vernunftgesteuert, wenn Ihr wollt – werden wir erneut handeln, neue Realitäten schaffen, die Ihr ebenfalls studieren könnt, und die Sache erledigt sich von selbst. Wir sind die Protagonisten der Geschichte … und Euch, Euch allen, bleibt nur, unser Tun zu studieren.»
1990, als gerade Software auf den Markt gekommen war, die Bildbearbeitung erheblich effizienter, kostengünstiger und unverzichtbar machen sollte, veröffentlichte ich das Buch «In Our Own Image: The Coming Revolution in Photography». Ich hatte damals das Gefühl, das Foto könne die Fähigkeit verlieren, einen glaubhaften Kontrapunkt zu staatlichen Verlautbarungen oder persönlichen Überzeugungen zu bieten. Wenn die Leute anfingen, an seiner Authentizität zu zweifeln, wäre das Foto nicht mehr in der Lage, sich dialektisch mit der Gesellschaft über das Wesen der Existenz auseinanderzusetzen. Die Software würde vielmehr dazu benützt, die Welt gottgleich nach unserem Ebenbild neu zu erschaffen – wie es der Mitarbeiter der Bush-Regierung später bestätigte.
Heute bin ich der Ansicht, wir sollten die Erkenntnis, dass Gewissheiten verloren gehen – eine Erkenntnis, die das Überdenken unserer eigenen Sichtweisen befördert –, begrüßen und nutzbar machen. Allerdings nicht mit dem zynischen Hintergedanken, Signifikant und Signifikat zu trennen, um vorgefasste Meinungen und böswillig verbreitete, oft dem eigenen Vorteil dienende Verfälschungen zu sanktionieren. Zwischen diesen beiden Ansätzen besteht ein enormer Unterschied. Um als Gesellschaft zu funktionieren, um nachzudenken und zu handeln, müssen wir in der Lage sein, uns auf das zu verständigen, was gerade geschieht, selbst wenn wir uns nicht darauf verständigen, wie wir darauf reagieren sollen.
Ist die Katze lebendig oder tot? Beides. Aber manchmal müssen wir uns entscheiden.
Marion Kagerer übersetzt seit vielen Jahren vor allem Sachtexte und Essays zu Kunst, Photographie und Geschichte aus dem Englischen und Französischen. Von 1982 bis 1989 war sie zudem Dramaturgin an den Münchner Kammerspielen. Nach einem mehrjährigen Arbeitsaufenthalt in New York leitete sie, neben ihrer Tätigkeit als Übersetzerin, von 1998 bis 2017 den Schirmer/Mosel Showroom.
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